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Vom Hintereingang zur Vordertür

Burgunde Materla hat den Fachbereich Supervision in der westfälischen Landeskirche aufgebaut. Jetzt geht sie in Rente

Sie ist für die Supervision in der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) eine Institution. Burgunde Materla ist seit 43 Jahren im kirchlichen Dienst tätig, seit 29 Jahren als Leiterin für den Fachbereich Supervision. Im Mai geht sie in Rente. Im Interview mit Karin Ilgenfritz blickt Burgunde Materla auf ihre berufliche Tätigkeit zurück.

 

29 Jahre waren Sie in der westfälischen Landeskirche für den Bereich zuständig. Ganz kurz: Was ist Supervision eigentlich?
Es ist eine Form von Beratung für Personen und Teams, die sich in ihrem Beruf unterstützen lassen wollen, die reflektieren und sich weiterentwickeln wollen. Supervision ist ein Instrument, um die Qualität der Arbeit zu sichern.

Was geschieht in einer Supervision?
Oft geht es darum, neue Wege zu entwickeln. Wenn jemand vor großen Herausforderungen steht, etwa weil Ressourcen weniger werden, weil eine Abteilung umgestaltet werden soll oder wenn man das Gefühl hat, festzustecken, dann kann Supervision eine große Hilfe sein. Wenn jemand in der vertrauten Umgebung neue Wege entwickeln soll, ist das oft schwer. Dann ist der Blick von außen hilfreich. Um das zu verdeutlichen finde ich das Beispiel mit der Küche gut: Man kommt von sich aus nicht auf den Gedanken, die Küche umzuräumen, wenn man schon lange damit klar kommt, wie sie ist. Wenn dann jemand zu Besuch kommt und vorschlägt, das Geschirr lieber zwei Schränke weiter links hinzustellen, wegen der Spülmaschine – denkt man: Gute Idee, da hätte ich schon viel früher drauf kommen können. Aber von sich aus kommt man eben nicht drauf.

Wer kommt bei Ihnen zur Supervision?
Es wird von allen Berufsgruppen in Anspruch genommen. Seit vielen Jahren bieten die westfälische und die lippische Landeskirche Supervision für alle kirchlichen Berufsgruppen an, ebenso für leitende Ehrenamtliche. In erster Linie Erzieherinnen, Theologinnen und Theologen sowie Verwaltungsangestellte.
Manche kommen erst, wenn sie das Gefühl haben, jetzt geht es nicht mehr anders. Andere kommen, weil sie es sich wünschen. Supervision ist auch eine Frage von Gesundheit im Beruf. Sie kann vorbeugen, dass jemand ausbrennt. Supervision ist inzwischen ein selbstverständliches Instrument beruflichen Handelns geworden.

Das war nicht immer so?
O nein. In den Anfangsjahren sagten die Superintendenten: „Seelsorge bei Pfarrern, das machen wir selbst.“ Ich habe dann geantwortet: „Seelsorge, genau.“ Aber Supervision ist etwas anderes als Seelsorge. Bei Supervision geht es um die Auseinandersetzung mit dem eigenen beruflichen Handeln. Darum, neue Perspektiven zu finden, sich und seine Arbeit zu reflektieren. In meiner Anfangszeit waren Menschen eher unsicher, wenn sie Supervision nahmen. Da hieß es dann: „Der hat’s wohl nötig.“ Die Leute waren dankbar, wenn sie den Hintereingang  nehmen konnten.

Und heute?
Heute „schämt“ sich niemand mehr. Mein Zimmer ist im Flur ganz hinten. Wer kommt, muss an vielen anderen Büros vorbei. Wer kommt, fragt am Empfang durchaus selbstbewusst, wo es denn zur Supervision geht. Heute heißt es eher: „Man gönnt sich das“.

Wie sind Sie zur Supervision gekommen?
Meine erste berufliche Station war Jugendreferentin. Damals war eine theologische Zusatzqualifikation verpflichtend, und in dem Zusammenhang habe ich Supervision kennengelernt. Das war für mich eine tolle Erfahrung. Gegen Ende meiner Zeit als Jugendreferentin habe ich dann selbst die Ausbildung zur Supervisorin gemacht. Das war Mitte der 80er Jahre.

Anschließend waren Sie sieben Jahre in einer kirchlichen Beratungsstelle aktiv, bevor Sie hauptberuflich mit Supervision zu tun hatten und schließlich Leiterin des Fachbereichs Supervision wurden.
Anfangs gehörte Supervision noch zum Pastoralkolleg. Ich war eine Exotin, als Nichttheologin. Es gab dann Supervision für Pfarrerinnen und Pfarrer sowie für Gemeindepädagoginnen und -pädagogen. Nach vier oder fünf Jahren wurde Supervision für alle kirchlichen Berufsgruppen geöffnet. Das war mir wichtig, denn eine Kirchengemeinde besteht ja nicht nur aus Pfarrerin und Jugendreferent. Seit 2010 ist die Supervision ein eigenständiger Bereich im Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung.

Um alle Anfragen zu bewältigen, sind vermutlich viele Fachkräfte nötig.
Kurz nachdem ich anfing, entstand schon der Supervisionskonvent. Derzeit gehören 59 Supervisorinnen und Supervisoren dem Konvent an. Sie sind alle in einer Festanstellung bei der westfälischen oder lippischen Kirche beschäftigt. Supervision ist für sie eine Nebentätigkeit. Wir treffen uns regelmäßig im Konvent und entwickeln Supervision und das kirchliche Angebot immer weiter. Wenn Supervision bei der Kontaktstelle angefragt wird, vermitteln wir an eine Kollegin oder Kollegen aus dem Konvent oder ich übernehme selbst Supervisionsanfragen. Man kann sich auch auf dem freien Markt Supervision suchen. Das ist allerdings etwas teurer, denn das Angebot über uns wird von den Landeskirchen gefördert.

Also würden Sie eher dazu raten, sich über Ihren Fachbereich Supervision zu organisieren?
Es kann auch Fälle geben, wo es gut ist, jemanden zu haben, der nicht zu viel Nähe zur Kirche hat. Wichtig ist, dass Neutralität möglich ist. Es darf keine Abhängigkeit entstehen. In solchen Fällen ist es ratsam, mit externen  Supervisorinnen und Supervisoren zusammenzuarbeiten. Bei anderen Themen kann es dagegen gut sein, wenn der Supervisor oder die Supervisorin die Strukturen kennt, also mit der Kirche vertraut ist.

Hat sich durch die Pandemie etwas verändert?
Auf jeden Fall. Derzeit laufen rund zwei Drittel der Supervisionen digital ab. Ich schätze, davon wird etliches bleiben. Es ist enorm, was es da an Methoden gibt und was alles möglich ist.

Man spürt Ihre Leidenschaft für die Supervision. Was fasziniert Sie daran so?
Ich freue mich über das Vertrauen und die Offenheit, die mir Menschen entgegenbringen. Es berührt mich, ihnen nahe zu kommen, so viele Lebens- und Berufsgeschichten zu hören und sie auf ihren Wegen zu begleiten. Es ist mir eine Ehre. Mir ist es dabei wichtig, ihnen mit Wertschätzung zu begegnen. Es spielt keine Rolle, wer da vor mir sitzt: eine Superintendentin oder eine Reinigungskraft.

Es ist doch vermutlich manchmal auch belastend, sich immer wieder auf neue Menschen einzustellen und so viele Probleme zu hören. Woher nehmen Sie die Kraft?
Ich habe meine Arbeit schon immer aus dem Vertrauen heraus gemacht, dass wir alle von Gott getragen sind. In meinem Büro hängt ein Bild, das ich vor vielen Jahren gefunden habe. Darauf steht der Spruch: „Wahre Liebhaber Gottes sind fröhliche Leute.“ (Fritz von Bodelschwingh 1946). Dieser Gedanke begleitet mich. Mir ist es wichtig, meine Arbeit mit Freude und Humor zu tun.

Bei soviel Begeisterung: Werden Sie sich auch im Ruhestand weiter engagieren?
Im innerkirchlichen Kontext bin ich dann raus. Auch aus dem Konvent. Aber freiberuflich würde ich gerne noch weitermachen. Vor allem die Gemeinschaft wird mir fehlen. Das Miteinander im Institut und im Konvent. Ebenso all die zufälligen und bewussten Begegnungen. Gemeinsam mit anderen etwas zu entwickeln, das war schon toll.

Jenseits der Supervision: Worauf freuen Sie sich im Ruhestand?
Auf meinen Garten. Und ich möchte gern mal kreativ werden – etwas Konkretes, Praktisches machen. Genau weiß ich das noch nicht, vielleicht Körbe aus Weiden flechten oder mich mit Schmiedearbeiten befassen.