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Von Veit Hoffmann
Kreta ist eine schöne Insel. Die Bucht von Chania im Norden, das Flussbett des Tavronitis im Westen. Im Süden Lefka Ori, die weißen Berge, zweieinhalbtausend Meter hoch. Unzählige Male habe ich hier meine Urlaube verbracht im Haus meiner Schwester.
Manchmal fuhr ich weit in den Westen der Insel nach Maleme. Am Rande des Dorfes liegen viertausendfünfhundert junge Männer, militärisch exakt ausgerichtet, eine deutsche Division, Gebirgsjäger und Fallschirmjäger, hingelegt zum letzten Appell. Ihre Schreie sind verstummt, ihre zerrissenen Leiber begraben. Die Toten liegen unter schönen Natursteinplatten und unkrautfreien Blumenrabatten. Jung waren sie. Kriege führt man schließlich mit der Jugend. Dreihundertsechzig Deutsche liegen noch irgendwo. In den Schluchten, unter den Stränden, in den Bergen. Dort liegen auch noch andere: Briten, Neuseeländer und griechische Partisanen, die gegen die Deutschen auf Kreta kämpften. Operation Merkur hieß das Unternehmen, im Zuge dessen im Mai 1941 die Deutschen Kreta besetzten. Junge Soldaten wurden an Fallschirmen über der Insel abgesetzt. Die langsam zur Erde schwebenden Männer waren ein leichtes Ziel für die Gegner.
Auf einem Gräberfeld in Maleme stand ein Strauß roter Rosen. Es war das Grab eines Achtzehnjährigen. War es die Schwester, die die Rosen brachte? Nach so vielen Jahren – auf das Grab ihres Bruders? Wer weiß das schon.
Die Toten von Maleme, wo der Wind von den Bergen herunterstreift und das Rauschen des Meeres zu hören ist. „Nichts Brennbares wegwerfen!“ mahnt ein Schild die Besucher des Friedhofes. Nichts Brennbares aufkommen lassen, mahnt zugleich dieses Gräberfeld.
Ich verließ den Friedhof und fuhr mit dem Auto zurück nach Almirida. Vor einem Cafenion saßen vier alte Männer unter einer Platane. „Kalimeros“, sagte ich zum Gruß und setzte mich an einen Nebentisch. „Kalimeros, germanos“, sagten sie und lachten und prosteten mir zu. Einer von ihnen hatte nur ein Auge. Ich wusste, dass er zu den Überlebenden gehörte. Der Nachbar Lambros hatte es mir erzählt.
Auf dem Friedhof von Maleme hatte ich mir ein Prospekt in die Tasche gesteckt. Ich las: „Der Volksbund ist bestrebt, gerade die junge Generation immer wieder auf die Geschehnisse der Kriegszeit hinzuweisen …“.
Sonntag ist Volkstrauertag. Wir gedenken der Toten, wir beten für sie und wir bitten für eine bessere Welt. Dieser Tag bringt die Lebenden zum Nachdenken. Er stellt die Frage: Wie ist und war es möglich, dass in diesem fortschrittlichen Jahrhundert so viel Unmenschlichkeit geschieht und geschah? Der ehemalige Bundespräsident Richard v. Weizsäcker formulierte es so: „Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was geschah. Sie sind aber verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird“.