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Viel Lärm um Luthers Lehre

In Minden wurde die erste evangelische Kirchenordnung in Westfalen erlassen. Darum ist die westfälische Stadt jetzt Gastgeberin des Europäischen Stationenwegs, der zu bedeutenden Stätten der Reformation in Europa führt

Ihrer „bewegten Reformationsgeschichte“ und der „bahnbrechenden Kirchen- und Schulordnung des Reformators Nikolaus Krage“ habe es die Stadt Minden zu verdanken, dass sie als Einzige im Gebiet der westfälischen Landeskirche in den Europäischen Stationenweg aufgenommen wurde. So beschreibt Mindens Bürgermeister Michael Jäcke die historischen Besonderheiten des Reformationsgeschehens in der Weserstadt. Jäcke wird zusammen mit dem Mindener Superintendenten Jürgen Tiemann das „Geschichten-Mobil“ auf seiner Tour durch 68 Städte Europas in Minden begrüßen.

Turbulenzen um die evangelische Lehre

In der Tat ging es bei der Einführung der Reformation in Minden turbulent zu: Ende 1529 eskalierte der Streit um die lutherische Lehre zu einem lokalen Aufruhr. Eine Bürgerbewegung übte massiven Druck auf den Stadtrat und die „altgläubige“ Geistlichkeit aus und behielt die Oberhand. Wenige Monate später wurde die Reformation durch eine Kirchenordnung – die erste in Westfalen – in Minden fest verankert. Die folgende Gründung einer städtischen Lateinschule „machte für breitere Bevölkerungsschichten Bildung überhaupt erst zugänglich“, sagt Superintendent Jürgen Tiemann.
Der Historiker Peter Kock, Vorsitzender des Mindener Geschichtsvereins, hat aus Anlass des Reformationsjubiläums noch einmal den Stand der Forschung zu den damaligen Ereignissen gesichtet. „Binnen weniger Jahre hatten Luthers Ideen auch in Minden Fuß gefasst“, sagt Kock. Der damalige Landesherr im Fürstbistum Minden, Bischofsadministrator Franz I., der Adel und der höhere Klerus hielten freilich nichts von der neuen Sache, „die man Martinisch nennt“.
Etwa Mitte der 1520er Jahre begann der Pfarrer an St. Marien, Albert Nisius, evangelisch zu predigen und die reformatorischen Ideen zu vertreten. Das sei angesichts der Reichsacht über Luther und seine Anhänger „nicht ohne Risiko“ gewesen, erläutert der Historiker. Nisius musste sich vor dem Bischof verantworten, kam aber offenbar davon.
Anders erging es dem Benediktiner Heinrich Traphagen. Der Mönch des Mauritiusklosters war Gemeindepfarrer an St. Simeonis und vertrat in seinen Predigten im Herbst 1529 die lutherische Lehre. Der Abt des Klosters betrachtete Traphagens Abkehr vom alten Glauben mit Argwohn, führt Kock aus. Schließlich ließ der Abt den Mönch mit Zustimmung des Stadtrates ins Gefängnis werfen. „Dies sollte zum Auslöser des reformatorischen Umbruchs werden“, so der Mindener Geschichtslehrer.

Lutherischer Prediger eingesperrt

Aufgebrachte Bürger befreiten Traphagen gewaltsam aus dem Kerker und brachten ihn auf die Kanzel zurück – „ein in der Stadtgesellschaft unerhörtes Aufbegehren gegen Obrigkeit und Klerus“, wertet Kock. Unter Führung des Ratsherren Johann Bruning stellte sich eine Gruppe von 36 Bürgern über den widerstrebenden Stadtrat.
Um die Reformation zu festigen, holten die „36er“ den Theologen Nikolaus Krage, der in Wittenberg bei Luther studiert hatte, aus Stolzenau nach Minden. Als er am 27. Dezember in St. Martini den ersten evangelischen Gottesdienst in deutscher Sprache und mit deutschem Gesang feierte, wurde die Bürgerbewegung vom Rat vorgeladen.
In einer turbulenten Versammlung übernahm die Gruppe endgültig das Regiment der Stadt. Die Stifte und Klöster wurden einbestellt, die Stadttore geschlossen. Vor dem Rathaus hatten sich die Anhänger der reformatorischen Bewegung versammelt. Der altgläubige Klerus, mit Ausnahme des Domkapitels, musste unter Druck auf seine Privilegien verzichten, sich dem Rat unterstellen und zur neuen Lehre bekennen – oder die Stadt verlassen.

Anfänge des Bildungswesens

Die von Krage dann am 13. Februar 1530 in St. Martini verkündete „Christliche Ordnung“ der Stadt Minden bedeutete – so Peter Kock – den formalen Vollzug der Reformation in der Stadt. Sie regelte das evangelische Bekenntnis der Prediger, die Einsetzung des Superintendenten durch den Rat und seine Befugnisse, die Ordnung der nunmehr deutschsprachigen Gottesdienste, die Pflichten und die Arbeit der Prediger, Küster und Organisten und anderes mehr.
Insbesondere enthielt die Kirchenordnung eine eigene Schulordnung, indem sie die Einrichtung einer Schule des Rates vorsah. Zugelassen waren zwar nur die Söhne der Bürger der Stadt. „Dennoch liegen hier die Anfänge des heutigen Ratsgymnasiums und insgesamt des Schulwesens der Stadt, die den Wert von Bildung für das Gemeinwohl erkannt hatte“, resümiert Kock.