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Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg

Millionen Deutsche durften nach 1945 nicht in ihrer Heimat bleiben. Wie viele bei Flucht oder Vertreibung ums Leben kamen, können Historiker bis heute nur schätzen. Die Spanne der Angaben ist ziemlich groß.

Infolge des Zweiten Weltkriegs verlieren Millionen Deutsche ihre Heimat. Historiker schätzen ihre Zahl auf 12 bis 14 Millionen. Sie fliehen ab 1944 vor der heranrückenden Roten Armee aus den deutschen Ostgebieten oder werden bis 1950 gewaltsam vertrieben. Zwischen 400.000 und zwei Millionen Menschen kommen ums Leben. Das ist gleichsam der Preis, den sie für die Verbrechen der Nationalsozialisten in Osteuropa zu zahlen haben.

Familien werden auseinandergerissen; Hunger, Kälte und Krankheiten sind Begleiter der Menschen, die meist nur mit wenigen Habseligkeiten und manchmal erst nach Monaten im Westen stranden. Den “wilden Vertreibungen” rund um das Kriegsende folgen Zwangsaussiedlungen, beides wird legitimiert durch die Siegermächte bei der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945. Politisches Ziel der Alliierten ist, ethnisch weitgehend homogene Staatsgebiete für die von Hitler überfallenen osteuropäischen Länder zu schaffen. Zugleich werden Grenzen neu gezogen – Polen verschiebt sich nach Westen.

Die Hauptherkunftsgebiete der Flüchtlinge sind Schlesien, das nun zu Polen gehört, das Sudetenland in der Tschechoslowakei sowie Ost- und Westpreußen, das zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt wird. Betroffen sind aber auch die deutschen Minderheiten in Rumänien, Jugoslawien und Ungarn. Hatte Hitler seinen auf Expansion angelegten Angriffskrieg damit gerechtfertigt, die Deutschen seien ein “Volk ohne Raum”, gilt es nun, auf verkleinertem Staatsgebiet zusammenzurücken.

Zwei Drittel der Flüchtlinge und Vertriebenen landen in der späteren Bundesrepublik, ein Drittel in der sowjetischen Besatzungszone. In ihre verlorenen Häuser, etwa in Polen, rücken derweil Menschen ein, die ihrerseits aus ihrer Heimat weiter östlich vertrieben worden sind.

Die Integration von Millionen Entwurzelten ist eine große Aufgabe für die Nachkriegsgesellschaft und prägt lange die politische Agenda in der Bundesrepublik. Ein kleiner Teil ihrer materiellen Verluste wird durch das Lastenausgleichsgesetz von 1952 kompensiert. Der sich verfestigende Ost-West-Konflikt macht auch eine private Rückkehr in die Heimat immer unrealistischer. Trotzdem werden noch lange Besitzansprüche erhoben. Bis in die 1960er Jahre beteiligt sich der “Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten” an Bundestagswahlen, erst 1969 wird das Bundesvertriebenenministerium aufgelöst.

Aus den Reihen der Vertriebenen werden aber auch Initiativen zur Aussöhnung mit den östlichen Nachbarländern gestartet. So wird etwa der katholische Verband Ackermann-Gemeinde, hauptsächlich bestehend aus sudetendeutschen Christinnen und Christen, zum Motor der deutsch-tschechischen Verständigung. Begegnungen und Besuche, Jugendaustausch, gemeinsame kulturelle Veranstaltungen etablieren sich – auch mit einem selbstkritischen Blick auf die Vergangenheit.

Im Sommer 2021 öffnet nach langen Kontroversen in Berlin ein Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Der Lern- und Erinnerungsort stellt Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in einen größeren, internationalen Kontext zur Geschichte von Zwangsmigrationen im 20. Jahrhundert.