Elmshorn. „Dass da von Verwesungsplätzen die Rede war, das hat mich stutzig gemacht“, erzählt Regina Thielsen-Thies. Sie arbeitet in der Verwaltung des Elmshorner Friedhofs. Eigentlich wollte sie Anfang des Jahres nur endlich den alten Spind im Büro des Friedhofsverwalters aufräumen. Doch die 62-Jährige staunte nicht schlecht über das, was sie dort zwischen alten Terminkalendern und Akten fand: das älteste Grabbuch des Elmshorner Friedhofs.
Vor 138 Jahren, am 1. August 1883, fand hier die erste Beerdigung statt. Die Eintragungen in dem Buch reichen bis ins Jahr 1911. Viele der alten Elmshorner Namen sind noch heute bekannt.
Wie konnte das Buch verschwinden?
Wie das alte Buch verschwinden konnte, kann sich niemand so recht erklären. Weder Regina Thielsen-Thies, die 1980 ihren Arbeitsplatz in der Verwaltung des Friedhofs antrat, noch Jürgen Gassmann, der 50 Jahre lang Dienst auf dem Friedhof tat.
Gestochen scharf, fein säuberlich
„Keiner weiß, wie es da hingekommen ist und wie lange es dort schon lag“, sagt Jörg Münster, der stellvertretende Friedhofsleiter. Doch geschadet hat der ungewöhnliche Aufbewahrungsort dem Totenbuch nicht. Die gestochen scharfe verschnörkelte Handschrift ist gut lesbar, die Seiten trocken. Fein säuberlich sind hier Namen und Sterbedaten aufgelistet. „In späteren Grabbüchern wurden dann auch noch der Beruf und ein paar andere Schlagworte zur Person notiert“, erklärt Münster.
Anders als heute üblich, sind in dem alten Grabbuch die Toten nicht alphabetisch aufgeführt, sondern fortlaufend nach dem Tag ihrer Beerdigung. Im ersten Jahr waren es nur drei. 2020 wurden hier 323 Verstorbene beigesetzt.
Beerdigt wurden die Menschen im alten Teil des Friedhofs in der Nähe des heutigen Verwaltungsgebäudes. Meist in Familiengräbern. Mehr als zehn Familiengrüfte habe es damals gegeben, erzählt Friedhofsleiter Münster. Einige sind bis heute erhalten geblieben, werden aber inzwischen nicht mehr für neue Bestattungen genutzt. Viel hat sich verändert seit den Anfängen des Friedhofs.
Heute umfasst der Friedhof an der Friedensallee 17 Hektar. Und auch wenn inzwischen zwei Bagger die Gräber zuschaufeln, es Baumgärten und Urnenbestattungen gibt, die die Beisetzungen im Sarg zahlenmäßig überholt haben: Manche Dinge bleiben bestehen. So zum Beispiel die Nutzung der Grabbücher. Denn auch wenn auf dem Elmshorner Friedhof bereits seit Mitte der 1980er-Jahre mit dem Computer gearbeitet wird: „Dass ich da täglich reinschaue, ist für mich Pflicht. Auf die Bücher vertraue ich mehr als auf den PC“, erklärt Münster. Vor jeder Beerdigung versichert er sich, auf welchem Platz genau der Verstorbene liegen wird. „Rechts der Mann, links die Frau – wie im wahren Leben“, sagt Regina Thielsen-Thies.
Im Archiv ausgestellt
Vorsichtig zieht sie eines der aktuellen Grabbücher aus dem Regal in ihrem Büro. Der Rücken wird von silbernem Klebeband zusammengehalten. „Die sehen nicht mehr so schön aus“, sagt sie und streicht über die Seiten. Die verschiedenen Handschriften zeugen von den vielen Verwaltungsmitarbeitenden, die in den vergangenen Jahrzehnten Elmshorns Tote hier eingetragen und ihnen so ihre letzte Ruhestätte zugeordnet haben. „Wenn die Bücher nur reden könnten …“, sagt sie und seufzt. Sie hätten viel zu erzählen.
Das alte Grabbuch wird künftig im Kirchenkreisarchiv in Stellau-Wrist verwahrt werden. Dort wird es außerdem noch einmal auf seine Echtheit überprüft. „Aus meiner Sicht besteht da aber kein Zweifel“, sagt Pastor Matthias Mannherz, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Kirchengemeindeverbands Elmshorn. Interessierte haben dort auch die Möglichkeit, sich das alte Buch nach Terminabsprache näher anzuschauen.