Noch bewahrt sich Gabriel Huentemann trotz allem etwas Hoffnung. „Ich möchte weiter daran glauben, dass die Verantwortlichen in der Regierung ernsthaft an der Lösung unserer Probleme interessiert sind.“ Seine Familie, die dem indigenen Volk der Mapuche in Chile angehört, kämpft seit Jahrzehnten um ihr Land.
Ungeklärte Landrechte und Landraub durch Großgrundbesitzer haben zu einem Konflikt zwischen den Mapuche und dem chilenischen Staat geführt. Der im März 2022 angetretene linke Präsident Gabriel Boric versprach einen anderen Umgang mit der größten indigenen Gruppe als die Vorgängerregierungen, die meist mit Militäreinsätzen auf die Forderungen der Mapuche reagierten. Doch nach der Hälfte der Legislaturperiode hat sich kaum etwas geändert.
Die Pehuenche, eine Untergruppe der rund 1,8 Millionen Mapuche, leben als Halbnomaden in den Anden an der Grenze zu Argentinien und lassen ihre Tiere Bergwiesen weiden. Ende des 19. Jahrhunderts sei seiner Familie bei der militärischen Eroberung des heutigen Südchiles ein kleines Grundstück zugewiesen worden, sagt Huenteman. Doch die eigentliche Weidefläche wurde nie rechtlich als ihr Eigentum eingetragen. Seit den 2000er-Jahren beansprucht eine Unternehmerfamilie das traditionell beweidete Land.
Seitdem folgten Räumungsdrohungen durch die Polizei, die Rückkehr der Familie auf das Weideland und erneute Anzeigen. „Zuletzt kam die Polizei im April“, erzählt Huenteman. „Allerdings waren wir schon wieder von der Sommerweide ins Tal zurückgekehrt.“ So sei die Polizei ohne die Vollstreckung der Räumung abgezogen und habe das Land für unbesetzt erklärt.
Seit 2003 erkennt der chilenische Staat offiziell eine historische Schuld am Landraub der indigenen Gebiete an. Im Zuge dessen wurde die Nationale Kooperation für indigene Entwicklung (CONADI) eingesetzt, die fortan Ländereien kaufen und an die Mapuche zurückgeben soll. Doch der Prozess läuft nur schleppend. Bis 2023 erhielten demnach 807 indigene Gemeinschaften Ländereien zurück – ein Bruchteil der offiziell 235.000 Mapuche-Gruppen. Und es ist bis heute unklar, wie viel Land überhaupt zurückgegeben werden muss.
Aus Frust über den schleppenden Prozess haben sich manche Mapuche radikalisiert, äußern ihre Wut mit Brandanschlägen und Landbesetzungen. Die Regierung reagiert wie ihre Vorgänger mit der Verschärfung von Gesetzen und Repression. So erlaubt die Mitte 2023 geänderte Regelung gegen Landbesetzung eine schnellere Räumung und höhere Strafen für die Besetzer. Zudem ist das Militär fast seit Beginn von Borics Amtszeit in einem Großteil der Region für die Sicherheit zuständig.
„Die Politik der Regierung führt zu Angst und Misstrauen“, sagt der Mapuche und Universitätsprofessor Claudio Millacura. „Die Vorstellungen der politischen Amtsträger über die Mapuche sind voller Vorurteile und unheimlich rassistisch“, auch in linken Parteien. „Die Gemeinschaften wollen nicht, dass ihnen jemand konkrete Lösungen anbietet, die von einem Schreibtisch aus erarbeitet wurden“, betont Millacura, der an der staatlichen Universidad de Chile in der Hauptstadt Santiago lehrt. „Es braucht zuerst Gespräche, die überhaupt erst Vertrauen schaffen.“
Millacura zufolge liegt das fehlende Interesse auch daran, dass die Mapuche keine homogene Wählerschaft bilden. Das führe dazu, dass sich die Parteien nicht richtig mit deren Forderungen auseinandersetzen. Auch der gescheiterte Prozess für eine neue Verfassung von 2021 bis 2023 habe daran trotz der Teilnahme der Indigenen nichts geändert.