Er besuchte sie in ihren Haftzellen in Frankreich, Belgien, Italien und Luxemburg und setzte sich dafür ein, dass sie in Nachkriegsdeutschland wieder Fuß fassen konnten. Für sein Engagement zugunsten von NS-Straftätern nach 1945 steht Hans Stempel (1894-1970), der frühere Präsident der Evangelischen Kirche der Pfalz, seit Jahren in der Kritik. Jetzt soll die Bürgerschaft der Stadt Landau nach dem Willen der Stadtverwaltung bei einem Bürgerentscheid am 23. Februar zeitgleich zur Bundestagswahl darüber entscheiden, ob die dortige Hans-Stempel-Straße umbenannt werden soll.
Der Landauer Stadtrat empfiehlt nicht nur, den Namen der nach Stempel benannten Straße zu ändern. Auch eine Straße, die nach Paul von Hindenburg (1847-1934), dem früheren Reichspräsidenten und deutschen Oberbefehlshaber im Ersten Weltkrieg, benannt wurde, soll einen neuen Namen erhalten. Ebenso geht es um eine Straße, die nach dem nationalsozialistischen Arzt und Paläontologen Ludwig Kohl-Larsen (1884-1969) benannt wurde.
Die Evangelische Kirche der Pfalz hält sich offiziell zurück bei der Frage, ob die Hans-Stempel-Straße bleiben soll. „Der Landeskirchenrat hat jedoch immer die Position vertreten, dass eine Entscheidung über die Umbenennung einer Straße alleine Sache der Stadt beziehungsweise der Bürgerinnen und Bürger ist“, sagte Oberkirchenrat Claus Müller. Auch Eberhard Dittus, der landeskirchliche Beauftragte für Gedenkstättenarbeit, betont, es sei Sache der Landauerinnen und Landauer, „ob der Straßenname bleibt oder ob auf ihn verzichtet werden kann“.
Der in Steinwenden im Landkreis Kaiserslautern geborene Stempel hatte sich nach dem Krieg für den Verein „Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte“ engagiert und gehörte dessen Präsidium an. Er war zudem inoffizieller „Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die Seelsorge an deutschen Kriegsverurteilten in ausländischem Gewahrsam“. Aufgrund seiner Initiative kamen zahlreiche Kriegsgefangene und verurteilte NS-Täter aus der Gefangenschaft frei.
In ihrer Erinnerungskultur stehe die Pfälzer Kirche für einen differenzierten Umgang mit dem Tun und Handeln von Menschen, sagte Oberkirchenrat Müller. „Sie kann viele Verdienste von Stempel würdigen, sieht aber seinen Einsatz für NS-Täter durchaus kritisch.“ Dessen anscheinend fehlender professioneller Abstand in der Seelsorge und vor allem der fehlende Blick für die Opfer der NS-Täter seien nicht nachvollziehbar.
Der Historiker Nicholas Williams bezeichnete Stempels Rolle als Seelsorger für NS-Täter und seine mangelnde Reue als fragwürdig. Im Auftrag der Landeskirche hatte der Leiter des Zentrums für ostbelgische Geschichte im belgischen Eupen das Wirken Stempels in einem Forschungsprojekt untersucht.
Der evangelische Theologe sei jedoch „kein Nazi“ gewesen, urteilt Williams, der eine Straßenumbenennung kritisch sieht. „Ihn als Verbrecher zu bezeichnen, geht zu weit.“ Vielmehr solle man sich differenziert mit Stempel auseinandersetzen. Dies sei in der parteipolitisch aufgeheizten Debatte im Landauer Stadtrat nicht geschehen. Unglücklich sei es, der historisch kaum informierten Bürgerschaft nun ein „Ja“ oder „Nein“ zur Straßenumbenennung abzunötigen, so Williams.
Auch Christoph Picker, der Direktor der Evangelischen Akademie der Pfalz, spricht sich gegen eine Straßen-Umbenennung aus und plädiert für einen differenzierten und fairen Umgang mit dem früheren Kirchenpräsidenten. „Bei Hindenburg würde ich Ja sagen, bei Stempel sieht es anders aus.“ Auch Stempels Porträt im Speyerer Landeskirchenrat könne hängenbleiben – obwohl fraglich sei, ob die dortige „Ahnengalerie“ der Kirchenpräsidenten „noch zeitgemäß ist“, so Picker. Die Akademie in Speyer hatte für Williams’ Forschungsprojekt zu Stempel die Federführung inne.