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Verbände: Geld für soziale Infrastruktur ist Zukunftsinvestition

Die Ampel-Regierung ist Geschichte, und viele Gesetzesinitiativen scheiterten quasi kurz vor der Ziellinie. Mehrere Reformen, die die Sozialbranche seit Jahren fordert, darunter auch die Kindergrundsicherung, liegen auf Eis. Dass eine künftige Regierung sie vollendet, ist unwahrscheinlich. Auch deshalb machen Diakonie, Caritas, AWO und Co weiter Druck, denn die Probleme würden nicht kleiner, im Gegenteil.

„Obgleich die Ampel beim Bürgergeld, beim Wohngeld oder bei der Erhöhung des Kindersofortzuschlags wichtige Schritte gegangen ist: Eine echte Fortschrittskoalition im Sinne von sozialem Fortschritt war sie nicht“, kommentiert Michael Groß, der Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO). „Die Bundesregierung hat es versäumt, den Sozialstaat gleichzeitig leistungsfähiger und leichter zugänglich zu machen“, rügt auch Joachim Rock, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: Sie habe sich im Irrgarten des Mit-, Neben- und Gegeneinanders von Gesetzen, Verordnungen und Zuständigen verlaufen und verstrickt.

Den selbst ausgerufenen Zielen so weit hinterhergehinkt zu sein, betrachtet die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) nach dem Aus der Ampel-Koalition noch immer mit Unverständnis. „Keine der geplanten Reformen brachte es zur Reife, tragfähige Kompromisse blieben aus“, bilanziert Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. In den Gesprächen mit dem epd nehmen die Verbände die künftige Regierung in die Pflicht, zügig Reformen voranzubringen: zuallererst in der Pflege.

„Die Pflegeversicherung kann man nicht einmal mehr als Teilkasko-Versicherung bezeichnen. Was wir bräuchten, wäre eine Vollversicherung, an der alle sich beteiligen“, sagte Groß dem epd. Das sieht auch Aron Schuster so: „Die Pflegeversicherung steht finanziell am Rand der Zahlungsunfähigkeit, gefährdet die Versorgung von Millionen Pflegebedürftiger und benötigt stabilisierende Sofortmaßnahmen, um handlungsfähig zu bleiben“, sagt der Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt: „Die Eigenanteile schießen durch die Decke, Arbeitskräfte fehlen an allen Ecken und Enden, wir sehen bereits unterversorgte Orte, und die Pflegeversicherung schreibt tiefrote Zahlen.“

Ein zweiter Sektor, auf dem die Expertinnen und Experten einen neuen Reformanlauf erhoffen, ist der Kampf gegen die Kinderarmut. „Mit dem Versuch, eine Kindergrundsicherung zu schaffen, hat die Ampel ein Debattenfenster geöffnet, das viel Aufmerksamkeit erzeugt hat“, sagte Groß. Hier gelte es mit, tragfähigen Konzepten weiterzuarbeiten. Diakoniepräsident Rüdiger Schuch verweist auf die frühkindliche Bildung als Schlüssel, um Kindern gleiche Startchancen zu verschaffen. „Auskömmliche soziale Sicherungssysteme, faire Löhne und Bildungsgerechtigkeit bleiben die Kernwerkzeuge im Kampf gegen Armut“, betont Aron Schuster.

Weitere Reformbaustellen: die Sicherung der Renten, der soziale Wohnungsbau, die Förderung des Ehrenamtes und die Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt. Auch müsse der Schutz von Frauen vor Gewalt verbessert werden, sagt DRK-Präsidentin Hasselfeldt, etwa „durch die ausreichende Finanzierung der Unterstützungsstrukturen wie Frauenhäuser“.

Die Verbände haben klare Vorstellungen zur Finanzierung der sozialen Hilfen. „Eine Reform der Schuldenbremse und eine gerechtere Steuerpolitik, die eine höhere Erbschaftssteuer für besonders Vermögende vorsieht, wären richtige Maßnahmen“, sagt Schuch. „Heute stammen nur noch 70 Prozent der Einkommen aus Arbeit, 30 Prozent aus anderen Einkommen, etwa Kapitalerträgen und Vermietungen. Letztere werden kaum zur Finanzierung des Sozialstaates herangezogen, das verstärkt Ungleichheit zusätzlich“, moniert Rock. Das sieht auch Michael Groß so: Um soziale Gerechtigkeit zu ermöglichen, müsse der Staat seine Einnahmenseite verbessern und die Schuldenbremse abschaffen: „Investitionen in die soziale Infrastruktur sind Zukunftsinvestitionen und dürfen nicht buchstäblich ausgebremst werden.“