Noch nie war die Opposition in Venezuela in den vergangenen Jahren einem Wahlsieg so nah – und hat trotzdem verloren. Kurz nach Mitternacht erklärte die Wahlbehörde den autokratischen Machthaber Nicolás Maduro zum Sieger der Präsidentschaftswahl. Auf den seit elf Jahren regierenden Maduro sollen bei der Abstimmung am Sonntag 51,2 Prozent der Stimmen, auf den gemeinsamen Oppositionskandidaten Edmundo González 44,2 Prozent der Stimmen entfallen sein.
Doch vieles deutet darauf hin, dass das Ergebnis eine plumpe Fälschung ist. Die Mehrheit der Bevölkerung in dem erdölreichen, aber völlig verarmten Land wünschte sich einen Machtwechsel. Im Wahlkampf begleitete die Opposition eine breite Welle der Unterstützung.
Kurz nach Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse trat auch die Opposition vor die Medien. „Wir haben gewonnen und jeder weiß es“, sagte Oppositionsführerin María Corina Machado. Nach eigenen Angaben bekam der Oppositionskandidat González 70 Prozent der Stimmen. Die Opposition stützt sich dabei auf eine parallele Auswertung der Stimmergebnisse auf Grundlage eigener Beobachter. Nachwahlbefragungen unabhängiger Institute bestätigen die Aussage.
Unabhängige Wahlbeobachter hatte die sozialistische Regierung nicht zugelassen. Eine Mission der EU war geplant, wurde aber von Maduro kurzerhand wieder ausgeladen. Damit wird der Beweis vom Wahlbetrug – so offensichtlich er auch ist – schwer.
Vor der Wahl führte die Opposition in allen seriösen Umfragen mit rund 20 Prozent Vorsprung. Der 74-jährige Ex-Botschafter González trat eigentlich nur als Ersatzkandidat an. Denn Machado hatte die Vorwahlen mit mehr als 90 Prozent der Stimmen gewonnen, wurde aber Anfang des Jahres für 15 Jahre mit einem Ämterverbot belegt.
Maduro muss schon damals eine Niederlage vor Augen gehabt haben. In den vergangenen Wochen verschärfte er die Repression, ließ Wahlhelfer inhaftieren und störte den Wahlkampf der Opposition, wo immer er konnte.
Rund acht Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner haben seit Maduros Amtsantritt im Jahr 2013 ihre Heimat verlassen. Der ehemalige Gewerkschafter und Busfahrer hat das Land politisch isoliert und wirtschaftlich ruiniert. Die Wirtschaftsleistung ist um rund 80 Prozent eingebrochen. Die Vereinten Nationen werfen Maduro Menschenrechtsverbrechen vor, die USA haben das Land mit scharfen Sanktionen belegt. Betroffen ist vor allem die Erdölindustrie, die wichtigste Einnahmequelle des Landes. Nach dem Versprechen von Maduro, Wahlen abzuhalten, wurden die Sanktionen etwas gelockert.
Maduros politische Karriere ist eng verwoben mit jener von Hugo Chávez. Ende 1998 gewann der ehemalige Fallschirmspringer die Präsidentschaft und versprach mit seinem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ eine Politik für die Benachteiligten. Immer an der Seite des charismatischen Linkspopulisten war Maduro, der es unter Chávez bis zum Vizepräsidenten brachte. Als die Krebserkrankung des 2013 verstorbenen Chávez bereits weit fortgeschritten war, machte dieser ihn zu seinem Nachfolger.
Schnell zementierte Maduro als neuer Staatschef seine Macht, machte Justiz und Wahlbehörde gefügig und entmachtete das Parlament. Seine wichtigste Stütze ist das Militär, dessen Loyalität er sich mit Privilegien erkaufte. Rund ein Drittel der Ministerposten ist mit Militärs besetzt.
Auf das Militär kommt es auch jetzt an. Am Wahlabend trat Verteidigungsminister Vladimir Padrino López auf und lobte den friedlichen Wahlprozess, der „ein Beispiel für die ganze Welt“ sei.
Offen ist, wie es jetzt weitergeht in dem südamerikanischen Land. Oppositionsführerin Machado bat die internationale Gemeinschaft um Unterstützung. US-Außenminister Anthony Blinken äußerte sich bereits besorgt über die Gültigkeit der verkündeten Wahlergebnisse. Auch für die USA hängt viel vom Wahlausgang ab: Mehrere Millionen Venezolaner sitzen auf gepackten Koffern. Die meisten von ihnen wollen in die USA.
Die Anspannung in Venezuela ist groß, in der Bevölkerung rumort es. Oppositionskandidat González rief alle Seiten zu Besonnenheit auf. Denn Amtsinhaber Maduro hatte bereits vor einem „Blutvergießen“ gewarnt, sollte er die Wahlen verlieren.