13 Milliarden Euro wollte Irland von „Apple“ einfach nicht haben. Die EU-Kommission hatte Rückzahlungen in dieser Höhe angesetzt, weil das zu den wertvollsten der Welt zählende Unternehmen mit Hilfe der irischen Regierung astronomische Summen an Steuerzahlungen vermieden hatte – entgegen geltendem EU-Recht.
Aber eine Rückzahlung hätte Irlands gesamtes Geschäftsmodell in Frage gestellt: Stabiles Land mit englischsprachiger Bevölkerung bietet gute Infrastruktur mit direktem Zugang zum EU-Binnenmarkt und sagenhaft niedrigen Unternehmenssteuern. Ein Angebot, das zahlreiche transnationale Konzerne wie Apple einfach nicht ablehnen konnten. Das ehemalige Armenhaus schrieb damit die bisher größte Erfolgsgeschichte in der EU.
Nun offenbart der Brexit Irlands große Verwundbarkeit. Denn wie kein anderes EU-Land hängt es von den offenen Grenzen mit Großbritannien ab. Spätestens nach der Ankündigung der britischen Premierministerin Theresa May, einen harten EU-Ausstieg – also raus aus Binnenmarkt und Zollunion – anzustreben, mehren sich daher die Befürchtungen in Dublin. Vor allem wenn London und Brüssel tatsächlich hart verhandeln. Dann droht aus der virtuellen Grenze mit Nordirland wieder eine echte zu werden.
Das 1998 mühsam verhandelte Friedensabkommen von Belfast könnte zerbröseln, wenn durch die Wiedereinführung von Zöllen und Personenkontrollen eine langwierige Rezession im irisch-nordirischen Grenzgebiet ausgelöst würde. Vom künftigen Schicksal der zahlreichen Arbeitnehmer, die jetzt noch täglich die Grenze überqueren, ganz zu schweigen.
Drei unangenehme Szenarien
Immerhin 43 Prozent der irischen Landwirtschaftsprodukte gehen nach Großbritannien, die wiederum oft an Vorprodukte aus Nordirland gekoppelt sind. Bereits jetzt werden die Wechselkursverluste der irischen Wirtschaft durch das schwächelnde Pfund in Folge des Referendums auf 700 Millionen Euro beziffert. Und es kann noch schlimmer kommen.
Neben den unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen bedroht der Brexit das irische Geschäftsmodell an sich. Bisher hat Großbritannien Anläufe der EU zur systematischen Bekämpfung von Steuervermeidung und -hinterziehung auf europäischer und internationaler Ebene wirksam verhindert. Andere EU-Mitgliedsstaaten wie Luxemburg, Malta, die Niederlande und eben Irland konnten sich mit ihren ganz individuellen „Steuerangeboten“ für Konzerne dahinter prächtig verstecken. Nun aber wechselt Irlands wichtigster Mentor in der EU auf die andere Seite.
Die Wettbewerbsnachteile durch den Brexit für die britische Industrie möchte Theresa May durch niedrige Unternehmenssteuern ausgleichen. Es droht die Entstehung einer Art Mega-Steueroase direkt vor den Türen der EU.
Irland sieht sich mit drei unangenehmen Szenarien konfrontiert:
• Im besten Fall schafft es die EU, Großbritannien durch ein für beide Seiten faires Abkommen von einem ruinösen Steuerwettbewerb abzuhalten. Ohne die Stimme Londons dürften dann aber die Steuerprivilegien innerhalb der EU verstärkt auf den Prüfstand kommen, das irische Modell wäre gefährdet.
• Im schlechteren Fall würde die EU Großbritannien einen nahezu ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt zugestehen, der britischen Steueroffensive aber tatenlos gegenüber stehen. Dann drohen Scharen von Unternehmen aus der EU abzuwandern, vor allem Irland entstünde in Großbritannien ein übermächtiger Konkurrent.
• Im schlimmsten Fall ließe sich die EU auf das britische Steuerdumping ein. Dann würde das irische Steuermodell „europäisiert“, das Land verlöre seine relativen Wettbewerbsvorteile innerhalb des EU-Binnenmarkts, die Mitgliedsstaaten würden sich gegenseitig ruinieren, das europäische Projekt könnte endgültig scheitern.
Für Irland geht es beim Brexit ums Ganze. Nach den verschmähten Apple-Milliarden dürfte die Bereitschaft vieler EU-Mitgliedsstaaten, Irlands spezielle Nöte bei den Verhandlungen mit Großbritannien besonders zu berücksichtigen, allerdings deutlich gesunken sein. Der anrüchige Steuerdeal der Regierung könnte das Land also noch teuer zu stehen kommen.
Genugtuung aber mag sich kaum einstellen. Zeigt das irische Dilemma doch drastisch, wie sehr die Abspaltung Großbritanniens die europäische Integration in ihren Grundfesten bedroht. Die anstehenden Brexit-Verhandlungen sind so fundamental bedeutend für alle Seiten, dass sie alle Aufmerksamkeit von Kirchen und Zivilgesellschaft verdienen. Sonst könnte es am Ende nur Verlierer geben.