Sie saß auf ihrer kleinen Holzbank im Badezimmer. Die Spritze in der Hand, in Tränen aufgelöst. Gleichzeitig musste sie lachen. In die Trauer, die Verzweiflung mischte sich ein Gefühl der Erleichterung, fast ein Glücksgefühl. Endlich war Schluss. Nach dreieinhalb Jahren Fruchtbarkeitsbehandlungen setzte sich Susanne Gonswa die letzte Spritze. Der letzte Versuch. „Ich habe in dem Moment beschlossen, die Kinderwunschbehandlung aufzugeben. Ich hatte noch keinen Plan, wie es weitergeht, aber ich war irgendwie erleichtert. Ich konnte endlich wieder atmen, wieder leben“, sagt die Journalistin. Für sie war der Tiefpunkt zugleich der Wendepunkt.
Unerfüllter Kinderwunsch: Frauen fühlen sich schuldig
Es war ein langer Leidensweg, viele Enttäuschungen, immer wieder Zweifel und der ständige Gedanke, versagt zu haben. Seit ein paar Jahren berichtet Susanne Gonswa in einem Podcast von ihrer Geschichte, spricht über das, was so lange Tabu war. Sie und ihr Partner haben während der Behandlungen niemandem von den Qualen, den ständigen Enttäuschungen erzählt. „Ich habe mich zu sehr geschämt und gedacht, mit mir stimmt etwas nicht“, sagt Susanne Gonswa.
Dabei hat sie alles investiert. Dreieinhalb Jahre setzte sie sich der Tortur der Kinderwunschbehandlungen aus. Auf große Hoffnung folgten immer wieder riesige Enttäuschungen. „Das Schlimmste ist, dass du es überhaupt nicht in der Hand hast. Gleichzeitig wird dir aber suggeriert, wenn du nur alles richtig machst, dann klappt es auch.“
Der Druck von außen ist enorm
Neben dem Druck, den sie sich selbst machte, spürte sie auch den von außen. „Du weißt nie, woher der nächste Schlag kommt. ,Was Kleines wäre doch mal schön.’ Jedes Mal, wenn jemand so etwas sagte, stehst du innerlich kurz vor dem Nervenzusammenbruch“, so Gonswa. „Es hat bei mir nicht geklappt“, es habe sehr lange gedauert, bis sie diesen Satz aussprechen konnte.
Sie fühlte sich vom Universum vergessen, vom lieben Gott. „Ständig hörte ich Schwangerschaftsnachrichten, immer war der rosa Elefant im Raum. Bei Freundinnen, die schwanger wurden, war es am schlimmsten“, so Gonswa. Sie fühlte sich abgehängt.
Auch als sie schon wusste, dass es nichts werden würde, startete sie dennoch weitere Versuche. Einfach so den Lebensplan zu ändern, das ging nicht. „Es war nicht nur mein Traum oder ein Wunsch, Kinder zu bekommen. Es war für mich ein Lebenskonzept, alles war darauf ausgerichtet. Und es war ein harter Moment, als das zerplatzte“, erinnert sie sich. Susanne Gonswa lag am Boden.
In der Leere lässt sich kein Trost finden
Wie geht es da weiter? „Erstmal liegen bleiben“, rät der Philosoph Wilhelm Schmid. „Das ist kraftsparender. In der schwierigsten Zeit ist genau das, das Problem: Über keinerlei Kraft mehr zu verfügen. Sich dagegen aufzulehnen und aufzustehen, kostet zu viel Kraft. Irgendwann kehrt die Kraft zurück, dann stehen wir von selbst wieder auf. Das ist der Lebensimpuls in uns“, so Schmid.
Es könne erstmal keinen Trost geben in der Leere, die der Verlust eines Menschen hinterlässt, sagt Schmid. So ein Verlust kann auch der eines Kindes sein, das man nie bekommen werde.
Der Philosoph kennt sich mit Leere und Schmerz aus. Sein Schwerpunkt ist die Philosophie der Lebenskunst, die sich mit Themen wie Glück und Unglück oder der Suche nach dem Sinn beschäftigt. In seinem Buch „Den Tod überleben“ setzt er sich mit dem Tod seiner Ehefrau auseinander und damit, wie man nach einem Schicksalsschlag weiter lebt.
Egal, ob Tod oder ein anderer Verlust, es sei ein Abschied von einer liebgewonnenen Wirklichkeit, die ein Mensch hinter sich lassen muss, erklärt Schmid. „Das Leben steht still, es gibt erstmal keine Zukunft mehr.“ Es ist die Erfahrung der Tragik, der Unausweichlichkeit, die Menschen bewusst werde, wenn eine Wirklichkeit endgültig besiegelt wird. „Das Leben geht erst einmal nicht mehr weiter. Es geht nur darum zu überleben.“
Eine Vision ohne Kinder
Überleben, weitermachen, irgendwie. Das durchlebte auch Susanne Gonswa. „Ich brauchte einen Plan für mein neues Leben. Für die Version ohne Kinder. Ich musste erstmal kapieren, dass das Leben nicht vorbei ist“, sagt sie. Ein Schlüsselmoment bei der Verarbeitung war für Susanne Gonswa, es überhaupt auszusprechen. Es war die Nachbarin, die mal wieder nach „etwas Kleinem“ fragte, der sie es entgegen schleuderte. „Hinterher tat es mir leid. Doch danach wurde es leichter“, sagt Susanne Gonswa.
Je mehr sie darüber redete, desto mehr Geschichten von anderen hörte sie. Geschichten, die Mut machten – und Susanne Gonswa zu ihrem Podcast bewegten. Jetzt macht sie anderen Menschen Mut. „Nicht darüber zu sprechen, war Teil des Problems“, erklärt sie. „Du fühlst dich allein und schuldig.“
“Familie und Freunde sind der Boden, der es leicht macht, aufzustehen.”
Dabei sei es gerade wichtig, nicht allein zu sein, betont Philosoph Wilhelm Schmid. „Allein ist es schwierig. Auch ich bin unendlich dankbar, dass Freunde und Freundinnen und Geschwister da waren. Das ist der Boden, auf dem es leichter ist, aufzustehen. Das Aufstehen müssen wir allein hinbekommen, aber stützende Arme erleichtern es.“ Um weiterzumachen brauche es Kraft. Und die komme eben mit der Zuwendung Anderer und mit sinnlichen Erlebnissen, „mit dem Dasein für Andere und für Dinge, die wir für sinnvoll halten“, so Schmid.
Für Susanne Gonswa war es wichtig, die Zeit der Behandlungen loszulassen, wieder glücklich zu werden. „Es war eine furchtbare Zeit, die Behandlungen waren teuer, deine Beziehung ist auf der Kippe und dann ruinierst du auch noch deine Gesundheit. Das muss man sich dann erstmal selbst verzeihen, was man sich selbst und dem Partner da angetan hat“, sagt Gonswa. Sie ist dankbar, dass ihre Beziehung das überlebt hat.
Irgendwann kommt ein anderer Weg
Sie programmierte ihr Leben regelrecht um, begann es so zu leben, dass Kinder nicht fehlten. Im Gegenteil: Es auszunutzen, keine Kinder zu haben. Essen gehen, campen, paddeln, alles spontan und ohne Plan. „Was ich alles machen kann, die Freiheiten, die ich habe, das mache ich mir immer wieder bewusst.“
Meditieren helfe. Und die Gewissheit: „Egal, was passiert, ich bin sicher, ich bin getragen, mir passiert schon nichts.“ „Ich wollte das nie Gott oder Glauben nennen, aber es ist eine höhere Macht, irgendwie ein Gefühl davon. Ich musste so etwas finden, einen Glauben, ein Vertrauen, das war wichtig für mich.“ Heute weiß sie: Es kommt was anderes. Susanne Gonswa: „Ich weiß vielleicht noch nicht, was es ist, aber es wird mein Weg sein.“
Vertrauen in sich und andere finden
Der Glaube kann Kraft geben, der Gedanke an etwas Höheres, das bestätigt auch Wilhelm Schmid. „Das ist nicht nur auf religiöse Weise möglich, sondern auch auf naturwissenschaftliche. Natürlich leben wir in größeren Zusammenhängen. Um das zu erkennen, genügt ja schon ein Blick auf die Sterne im nächtlichen Himmel“, sagt er. Vertrauen in sich und andere finden, in das Leben, die Welt, das spendet Trost und gibt neue Energie, sagt Wilhelm Schmid.