Dass sie mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird, bekam Narges Mohammadi vermutlich zunächst nicht mit. Auch am 10. Dezember, wenn der Preis verliehen wird, wird sie wohl nicht dabei sein können. Denn wegen ihres Einsatzes für die Rechte von Frauen und Demokratie sitzt die iranische Aktivistin und Publizistin im berüchtigten Evin-Gefängnis in Irans Haupstadt Teheran ein. Mal wieder.
Seit Jahrzehnten setzt sich Mohammadi für die Menschenrechte in ihrer Heimat ein, insbesondere die Rechte von Frauen – zuletzt unterstützte sie aus dem Gefängnis die Proteste nach der Tötung der jungen Kurdin Mahsa Jina Amini im Polizeigewahrsam. Die 51-jährige Mohammadi fordert die Abschaffung der Todesstrafe und berichtet aller Repression zum Trotz über die miserablen Haftbedingungen.
Mit der Auszeichnung werde Mohammadis Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen in ihrer Heimat und ihr Einsatz für die Menschenrechte und Freiheit für alle gewürdigt, begründete die Vorsitzende Berit Reiss-Andersen die Entscheidung des Nobelkomitees.
Bereits als junge Physikstudentin setzte sich Mohammadi laut dem Nobelkomitee für die Rechte von Frauen ein. Später war sie als Vizepräsidentin für die Menschenrechtsorganisation „Defenders of Human Rights Center“ tätig. Das erste Mal wurde sie 2011 festgenommen. Insgesamt wurde sie nach Angaben des Nobelkomitees in mehreren Verfahren zu 31 Jahren Gefängnis und 154 Peitschenhieben verurteilt. Das Ziel des Mullah-Regimes: sie zu brechen.
Für Amnesty International berichtete Mohammadi vor einigen Jahren, welch unendliches seelisches Leid es bedeutet, ihre eigenen Kinder weinend zurückzulassen, während sie abgeführt wird. „Es hat mir das Herz in Stücke gerissen“, schreibt Mohammadi. „Ich habe so geweint, ich dachte, ich habe keine Tränen mehr übrig.“ Ihre Zwillinge Kiana und Ali wurden im November 2006 geboren.
Ihr Mann Taghi Ramahi lebt seit Jahren mit den Zwillingen im Exil in Frankreich. Seit Juli 2015 hat Mohammadi ihre Kinder nicht mehr gesehen. Mohammadi hätte nach eigenen Worten ebenfalls die Möglichkeit gehabt, nach Frankreich zu gehen, wenn sie den Iran illegal verlässt. Das iranische Regime wolle, dass sie verschwinde, sagte sie 2021 in einem Interview mit der Deutschen Welle, als sie für ein paar Monate nicht im Gefängnis war. Mohammadi aber blieb. „Ich bin eine Frau, die sich nicht beugt“, sagt sie.
Mitte September beklagte Mohammadi in einem Brief eine starke Zunahme sexualisierter und psychischer Gewalt gegen Frauen in iranischen Gefängnissen. Über diese Gewalt, aber auch über die Stärke und Solidarität der Frauen, hat die Aktivistin ein Buch geschrieben, das im August auf Deutsch erschienen ist („Frauen! Leben! Freiheit!“). Es basiert auf heimlichen Gesprächen mit anderen politischen Gefangenen und auf dem, was sie selbst erlebt hat: Misshandlungen, Isolationshaft, Folter. All das wirkt sich auch auf ihren Gesundheitszustand aus: Sie ist herz- und lungenkrank.
Dennoch setzt sich Mohammadi auch im Gefängnis weiter für ihre Überzeugungen ein. Gemeinsam mit anderen Insassinnen zündete sie am Jahrestag der jüngsten Proteste im Innenhof des Gefängnisses ihr Kopftuch an, um ihre Unterstützung für die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ zum Ausdruck zu bringen.
Mohammadi habe sich aus dem Gefängnis dafür eingesetzt, dass die Proteste nicht abebben, erklärte das Nobelkomitee. Mit der Auszeichnung würden auch Hunderttausende Menschen im Iran gewürdigt, die sich für die Rechte von Frauen einsetzten.