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Truppenabzug in Afghanistan – und jetzt?

Was bleibt, ist kein Frieden sondern Angst vor der Zukunft. Trotzdem schiebt Brandenburg weiterhin Flüchtlinge nach Afghanistan ab.

Von Lotta Schwedler und Vincent da Silva

Am 30. Juni haben die letzten Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen Afghanistan verlassen. Nach fast 20 Jahren militärischer Präsenz am Hindukusch erklären die Nato und ihre Partner ihren Einsatz für beendet. Zurück bleibt ein sozial tief ­gespaltenes Land mit einem nach wie vor ungelösten Bürgerkrieg. Laut Expertenstimmen könnte der Nato-Truppenabzug sogar eine weitere Zuspitzung der Sicherheitslage in dem kriegsgebeutelten Land zur Folge haben.

In dieser verheerenden Lage ­zurückgelassen werden auch viele afghanische Ortskräfte und ihre ­Familien. Das sind Menschen, die in den vergangenen Jahren die Bundeswehr als Helferinnen und Helfer unterstützt haben oder für deutsche Entwicklungsorganisationen tätig waren. Sie müssen nun Racheaktionen der Taliban fürchten. Viele werden aus Afghanistan ­fliehen müssen. 

Als Flüchtlingsrat haben wir in den vergangenen ­Wochen immer wieder darauf hingewiesen, dass Ortskräfte und ihre Familien um­gehend in Sicherheit gebracht werden müssen – und das unbürokratisch und auf schnellstem Wege.

Bereits vor Abzug der Nato-Truppen war die Sicherheitslage in Afghanistan katastrophal. Afghanistan wurde im Global Peace Index 2020 zum zweiten Mal in Folge als unsicherstes Land der Welt geführt. Auch die wirtschaftliche Situation ist seit langem desaströs und hat sich durch die Covid-19-Pandemie weiter verschlechtert. 

Eine aktuelle Studie der Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und der Diakonie Hessen zeigt, dass geflohenen ­Afghanen nach ihrer Abschiebung in ihr Herkunftsland Verelendung, Verfolgung und eine akute Gefahr für Leib und Leben drohen. Ungeachtet dessen verließen seit 2016 39 Charterflugzeuge Deutschland, um alleinstehende ­afghanische Männer in das Kriegsgebiet abzuschieben. Nach unserer Zählung waren darunter auch elf Menschen aus Brandenburg. Die aktuelle Situation in Afghanistan und die erbarmungslose Haltung der Brandenburger Landes­regierung verbreiten unter den hier lebenden Afghanen und Afghaninnen große Unsicherheit und Angst. Viele von ihnen sind jung. Sie sind als un­begleitete Minderjährige nach Deutschland gekommen. Der größte Wunsch vieler: ein ­baldiger Nachzug ihrer Familien­angehö-rigen. Doch nun ist die ­Visa-Abteilung der Afghanischen Botschaft in Kabul geschlossen, ­Familienzusammenführungen drohen zum Erliegen zu kommen. Auch hier müssen unbürokratische Lösungen gefunden werden.

Vor allem aber sollte die Landesregierung mit einem sofortigen Abschiebestopp auf die aktuell ­unsichere Lage reagieren, von der niemand weiß, wie sie sich in den kommenden Monaten entwickeln wird. Ob es so weit kommen wird? In den sozialen Medien kursieren bereits Termine für den nächsten Sammelcharter, mit dem wieder Menschen in das Kriegsgebiet abgeschoben und dort ihrem ungewissen Schicksal überlassen werden sollen – das wäre dann Abschiebeflug Nummer 40.

Lotta Schwedler und Vincent da Silva sind Referent/innen beim Flüchtlingsrat Brandenburg und zuständig für die Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit.

Deutschlandweit haben sich Bündnisse gebildet, die sich gegen Abschiebungen nach Afghanistan stark machen. In Berlin und Brandenburg ist es vor allem Yaar e.V., die als afghanische Selbstorganisation seit 2012 die Stimmen von hier lebenden Afghaninnen und Afghanen in die Öffentlichkeit trägt. Durch Beratung und Sprachkurse, mit Seminaren und Empowerment-Kursen unterstützt der Verein Menschen aus der afghanischen Community. Die Arbeit von Yaar e.V. kann durch eine einmalige oder regelmäßige Spende unterstützt werden. Weitere Informationen: www.yaarberlin.de/spenden

Die Studie „Erfahrungen und Perspektiven abgeschobener Afghanen im Kontext aktueller politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen in Afghanistan“ von der Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und der Diakonie Hessen finden Sie online hier: www.diakonie.de/journal/erfahrungen-und-perspektiven-abgeschobener-afghanen