Carl von Linde, Prinzregent Luitpold und Kaiserin Auguste Viktoria: Die Baugeschichte der Christuskirche Berchtesgaden ist mit prominenten Namen verknüpft. Am Sonntag (9. Juni) feiert die Kirche der Protestanten im südöstlichsten Zipfel Bayerns ihren 125. Geburtstag. Nach dem Festgottesdienst mit Regionalbischof Thomas Prieto Peral und dem Traunsteiner Dekan Peter Bertram geht die Party mit Grill, Hüpfburg und Tombola im Kurgarten weiter.
Der Ort passt zu einem Schwerpunkt der Protestanten im Berchtesgadener Land: „Als Gemeinde in einer Urlauberregion bieten wir vor allem im Sommer viele Berggottesdienste, aber auch musikalische Veranstaltungen für Gäste an“, berichtet Pfarrer Christian Gerstner, der mit einer halben Stelle für die Urlauberseelsorge tätig ist. Mit den Touristikern der Kommune sei die Gemeinde gut vernetzt: „Alle unsere Termine tauchen auch im Tourist-Programm auf.“
Im Sommer 1899 wurde die Christuskirche eingeweiht. Das heute vielleicht wertvollste Geschenk war die silberbeschlagene Altarbibel mit Widmung der Kaiserin Auguste Viktoria, die regelmäßig zur Sommerfrische in Berchtesgaden weilte. „Der evangelischen Kirche zu Berchtesgaden zur Einweihung am 30. Juli 1899“ steht da in geschwungener Handschrift. Den Einweihungsgottesdienst, der für die am Bein verletzte Adlige extra verkürzt worden war, schwänzte die Gemahlin von Kaiser Wilhelm II. allerdings: Zwei Stunden vor Beginn reiste sie mit ihren Kindern ab.
Es ist nur eine Anekdote von vielen, die sich um den Bau der Christuskirche ranken. So setzte sich kein Geringerer als Kühlschrank-Erfinder Carl von Linde, Sohn eines evangelischen Pfarrers, 1895 an die Spitze des Kirchbauvereins. Weil aus dem bevorzugten Bauplatz mitten im Ort nichts wurde, luchste der Ingenieur dem Prinzregenten Luitpold mit einer Erpressung den heutigen Standort ab: Wenn sich kein anderer Platz fände, werde er die Kirche eben – von Weitem gut sichtbar – auf seinem eigenen Grundstück auf dem Obersalzberg bauen. Der nicht eben ökumenisch gestimmte Prinzregent trat daraufhin murrend einen Zipfel seines königlichen Grundstücks ab, der von seiner Villa aus nicht einsehbar war. Dann müsse er die Kirche wenigstens nicht die ganze Zeit anschauen, soll Luitpold gesagt haben.
Für die Christuskirche war Linde und seinem Kirchbauverein das Beste gerade gut genug – an Geld und Connections mangelte es schließlich nicht. So stammen die Pläne für den neugotischen Bau vom Reißbrett des damaligen Münchner Stararchitekten August Thiersch, die Fassade der Kirche ist aus Kälbersteiner Marmor, der Fußboden aus Adneter Rotmarmor und Solnhofer Platten. Marie von Sachsen-Meiningen stiftete die Orgel, die Kanzel war ein Geschenk des Karl von Baden, die vergoldete Taufschale samt Kanne eine Gabe der Marie von Anhalt. Die Liste ließe sich problemlos verlängern.
Auch wenn die Protestanten heute laut Christian Gerstner nur rund elf Prozent der Bevölkerung ausmachen, hat das Berchtesgadener Land doch eine starke lutherische Tradition. Schon Mitte des 16. Jahrhunderts brachten sächsische Bergleute im benachbarten Bergwerk Dürrnberg und handelsreisende Schnitzer den lutherischen Glauben in die damalige Fürstpropstei. Die Menschen versammelten sich zu Hauskreisen und Freiluftgottesdiensten. Verbote der katholischen Obrigkeit waren wenig wirksam. So kam es zwischen 1731 und 1732 zur Vertreibung von insgesamt fast 30.000 Protestanten aus Salzburg, Berchtesgaden und den umliegenden Orten. Die Exulanten mussten zu Fuß oder per Schiff ihre Heimat verlassen. Viele kamen auf dem Weg ums Leben. Wer überlebte, fand Aufnahme in Preußen oder Niedersachsen.
Heute verlaufen die Reisewege eher umgekehrt: Rund 95 Prozent der Hochzeitspaare sind Gäste aus anderen Teilen Deutschlands, berichtet Pfarrer Gerstner – die Christuskirche ist eben eine eindrucksvolle Kulisse für die Fotos vom „schönsten Tag“. Auch manche Taufe wird mit dem Familienurlaub im Gebirge verbunden.
Doch auch für die Jüngsten der Ortsgemeinde baut die Christuskirche ihr Angebot aus, zum Beispiel mit regelmäßigeren Kindergottesdiensten und dem dritten Jahrgang „Konfi3-Kurs“. Dabei lernen Grundschulkinder der dritten Klasse in fünf Treffen die evangelische Gemeinde kennen – inklusive Glockenturm-Besteigung und Übernachtung in der Bischofswieser Schöpfungskirche. „Wir wollen das Interesse der Kinder wecken“, sagt Gerstner – damit die lange Tradition der Lutheraner in Bayerns Südosten auch in Zukunft Bestand hat. (00/1704/06.06.2024)