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Theologe: Umbruch der Kirche heute ist vergleichbar mit Reformation

Nach Ansicht des Philosophieprofessors Eberhard Tiefensee (Erfurt)
steht die Kirche angesichts der Säkularisierung vor einem ähnlichen Umbruch wie bei der Reformation. Sie werde sich in einer weitgehend religionsfreien Umgebung zurechtfinden und verändern müssen, sagte Tiefensee am Dienstagabend in Karlsruhe beim Jahresempfang des ökumenischen „Foyer Kirche und Recht“. Nie zuvor sei das Christentum in seiner 2000-jährigen Geschichte auf eine Kultur getroffen, die weitgehend ohne Religion oder Religiosität sei.

Mit steigendem Wohlstand, sozialer Sicherheit und dem Abschied von einer traditionsgeleiteten Kultur scheine auch ein Rückgang des religiösen Interesses einherzugehen, sagte Tiefensee, der auch katholischer Priester ist: „Die Supernova erfasst inzwischen auch andere religiöse Kulturen wie zum Beispiel die Muslime. Sie wird wohl keine Kultur verschonen.“

Gerade in Ostdeutschland sei schon lange spürbar, dass es sich auch ohne Gott „gut und anständig“ leben lasse, sagte der in Leipzig aufgewachsene Theologe. Den Konfessionslosen oder Religionsfreien fehle nichts, „zumindest empfinden sie im Durchschnitt nicht mehr oder weniger Mangel als wir Christen“. Auch gebe es keinen außergewöhnlichen Verfall der Wertvorstellungen als Folge der Säkularisierung.

Tiefensee plädierte für eine „Ökumene der dritten Art“. Diese sei nicht zwischen Christen oder verschiedenen Religionen, sondern zwischen „Religiösen und Nichtreligiösen“. Dabei gehe es nicht um Beliebigkeit, sondern darum, das eigene Profil als Christ zu schärfen. Christinnen und Christen seien Spezialisten für Gottesfragen und könnten gezielt diesbezügliche Impulse setzen.

„Christinnen und Christen setzen Zeichen der Zuversicht, aber sie kritisieren auch: stellen Fragen aus dem Geist des Evangeliums und bringen so neue Blickwinkel ein“, erklärte der Theologe. Das Christentum habe eine integrative Aufgabe, es helfe der Gesellschaft beim Zusammenwachsen und versuche, auseinanderstrebende Kräfte wieder zusammenzuführen.

Der Jahresempfang wird von evangelischer und katholischer Kirche in Baden organisiert und soll den Dialog zwischen den Kirchen und den obersten Bundesgerichten in Karlsruhe ermöglichen. (1278/11.06.2024)