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Technik gegen Langeweile

Es ist erst halb zehn Uhr morgens, und dennoch herrscht an diesem Donnerstag schon Hochbetrieb im Deutschen Museum in München: Schulklassen sammeln sich zu ihren Führungen und mehrere Pulks von Fünfjährigen in gelben „kids on work“-Westen warten in Zweierreihen vor dem Einlass, um eines der größten Technik-Museen der Welt zu erkunden. Wenige andere Museen haben ein so junges Publikum: Auf eine Million Besucher kommen etwa 410.000 Kinder, Jugendliche oder Studierende, so misst es das Ticketsystem.

Den Schwerpunkt auf die Jugend hatte Museumsgründer Oskar von Miller schon vor der Eröffnung des Hauptgebäudes vor 100 Jahren, am 7. Mai 1925, gelegt. Früh holte der Wasserkraft-Pionier den Münchner Reformpädagogen Georg Kerschensteiner ins Boot. Dieser sollte aus der Techniksammlung auch einen Ort der Wissensvermittlung für Berufsschüler machen. „Bildung durch Selbsttätigkeit und Anschauung“, hieß die Idee.

Heute bietet das Museum, das bis 2028 für geplant 750 Millionen Euro saniert und modernisiert wird, mehr als 30 Programme für Grundschulkinder und Jugendliche an. Und seit 2003 gibt es das „Kinderreich“, ein Angebot für die Drei- bis Achtjährigen. An der Kugelbahn können sie die Schwerkraft erforschen, am Lichtspieltisch Prismen konstruieren, am Pedalocopter Kraftübertragung testen.

„Kinder sind die kritischste Zielgruppe“, sagt „Kinderreich“-Leiterin Vera Ludwig, „denn sie hören einfach nicht mehr zu, wenn’s langweilig wird“. Langeweile scheint hier aber nicht das Problem: An vollen Tagen tummeln sich unter der großen Luftfahrthalle zwischen 9 und 17 Uhr bis zu 3.000 Kinder und Eltern.

Ludwigs Ziel ist es, dass Eltern mit ihren Kindern die Ausstellung aktiv erkunden. Allerdings klappt das nicht immer: Manche Erwachsene versacken am Handy, während der Nachwuchs die Mitmachausstellung zum Indoor-Spielplatz umfunktioniert. Für Ludwig ist das ein Ansporn, Eltern und Pädagogen noch mehr Aktions-Ideen an die Hand zu geben. „Wir haben einen Bildungsauftrag“, betont die 62-Jährige. Gerade die Mütter und Erzieherinnen will die Modellbaumeisterin ermutigen, vor Technikthemen nicht zurückzuschrecken: „Das ist wichtig, um die Welt zu verstehen.“

Wer dem „Kinderreich“ entwachsen ist, findet in der Museums-App Familientouren durch die 20 Ausstellungen, von der Robotik übers Bergwerk bis zur Raumfahrt. Für Schulklassen entwirft die Bildungsabteilung Programme passend zum Lehrplan. „Dabei geht es immer darum, die Ausstellungen selbstständig zu entdecken und die Inhalte praktisch zu vertiefen“, sagt Mitarbeiterin Franziska Kumm.

Weil die natürliche Begeisterung für Technikthemen von der Grundschule bis zur Oberstufe nachlasse, suchen die Programmmacher nach Anknüpfungspunkten in die Lebenswelten der Jugendlichen: Smartphone, Social Media, aber auch Verkehr, Gesundheit, Robotik oder Klima seien Zugpferde. „Viele Jugendliche heute trauen sich selbst wenig zu“, hat Kumm festgestellt: „Wir wollen sie auf Augenhöhe motivieren und ermutigen.“

Bei Inés, Tiago, Tamara und Sophie hat das offensichtlich geklappt. Die vier machen – wie rund 30 andere Jugendliche – in der Woche vor den Osterferien ein Schülerpraktikum im Deutschen Museum. Die meisten von ihnen kennen das Haus aus ihrer Kindheit: „Wir wohnen in der Nähe und waren früher oft einfach für eine Stunde am Nachmittag hier“, erzählt Inés. Bei Sophie war der Vater „schuld“ am Technikinteresse: „Er kann super erklären und hat mir die einzelnen Stationen nahegebracht“, sagt die 15-Jährige.

Einen Wissensvorsprung hatte Tiago durch die häufigen Museumsbesuche: „Am Anfang habe ich mich in Physik leichter getan“, berichtet der Neuntklässler, den vor allem die Mitmachstationen interessierten. Tamara erhofft sich von ihrem Praktikum, die Arbeit in einem Museum kennenzulernen. Vor allem die 24 Werkstätten – vom Modellbau bis zum Elektroniklabor – haben die jungen Leute beeindruckt.

Nur logisch, dass die wichtigste Zielgruppe auch beim 100. Geburtstag des Deutschen Museums im Mittelpunkt steht. Einen schulfreien Tag, wie ihn Oskar von Miller für den Festumzug durch die Münchner Innenstadt am 5. Mai 1925 erwirkt hatte, gibt es zwar nicht. Dafür aber am 9. Mai einen „Schülertag zum Jubiläum“ mit freiem Eintritt und ein vollgepacktes Programm am Festwochenende 10./11. Mai auf der ganzen Museumsinsel.

Vielleicht wird es dann sogar so, wie es sich Gründer und Technik-Pionier Oskar von Miller einst für sein Museum gewünscht hatte: „Die Leute sollen hereinströmen wie in die Buden auf dem Oktoberfest.“