Die Nerven liegen blank in diesem “Tatort” aus dem Südwesten Deutschlands. Und zwar nicht nur bei dem Pärchen, das sich nach einem tödlichen Streit auf der Flucht befindet, sondern auch bei den Kommissaren Franziska Tobler und Friedemann Berg. Die Ermittler aus dem Schwarzwald beharken sich vor allem gegenseitig, lassen Stress und Überforderung aber auch mal an Kollegen oder Zeugen aus. Und dann wäre da noch die Bevölkerung, die sich angesichts der öffentlich und medial als unzurechnungsfähig eingestuften Flüchtigen in Hysterie steigert. Die Hitze dieser im Sommer spielenden “Tatort”-Folge tut ihr Übriges, die Emotionen der Menschen anzuheizen – dagegen helfen auch die allseits präsenten Wasserflaschen wenig.
Spannend geht er los, der “Tatort: Die große Angst”, den die ARD am Sonntag, 23. März, um 20.15 Uhr ausstrahlt. Man ist direkt drin in der Enge und Schwüle einer Seilbahngondel hoch über dem Schwarzwald: Die Situation eskaliert, als die hochschwangere Nina zu einem Nothammer greift – kurz danach ist ein Mann tot. Die Tatverdächtigen, Nina (Pina Bergemann) und ihr Partner Sven (Benjamin Lillie), fliehen.
Tatort: Kamera bleibt nah dran
Nah dran bleiben Film und Kamera an diesen beiden, zunächst bei einem kurzen Check im Krankenhaus, dann bei einer hektisch improvisierten Flucht in die Wälder. Man werde sich der Polizei stellen, hatte Sven seinem Freund, dem Arzt Edi (Sahin Eryilmaz) noch erklärt, wolle aber zunächst die “Optionen klären”, mit einer Anwältin sprechen. Die Angst treibt ihn um, dass ihnen das Kind weggenommen werden, seine Freundin “in den Knast oder die Klapse” kommen könnte. Nina leidet, wie man später erfahren wird, an einem Hirntumor, der unter Stress womöglich impulsiver und aggressiver macht.

Während sich die beiden zu einer abgelegenen Waldhütte durchschlagen, geraten Tobler (Eva Löbau), Berg (Hans-Jochen Wagner) und die anderen Polizisten unter Druck: zu wenig Personal aufgrund naher Waldbrände, aber auch eine zunehmend hysterische Bevölkerung, die Ermittlungserfolge sehen will. Als ein achtjähriger Junge vermisst gemeldet wird, kippt die Stimmung, mutiert Nina in der öffentlichen Meinung zu einer gefährlichen Bestie. Da kann Tobler noch so beharrlich für Ruhe und Umsicht werben – damit scheitert sie schon an ihrem Kollegen Berg, der wegen ihrer Bewerbung um die Dezernatsleitung eifersüchtig und gereizt ist.
Viel Psychologisches also steht im Zentrum dieses Krimis, Befindlichkeiten und Animositäten, vor allem aber die komplexe Frage nach Vertrauen – im unmittelbaren Kontakt, aber auch auf einer höheren gesellschaftlichen Ebene. Dazu passt die bewegliche (Hand-)Kamera, die zumeist dicht dran ist an den Protagonisten, nicht auf glatt polierte, sondern auf Bilder setzt, die dem permanenten Stress der angespannten Situation angemessen sind. Auch lassen einen die Schauspieler mit ihrem durchlässigen Spiel “nah ran”. Die stimmige Arbeit von Maske und Kostüm wiederum gibt den Figuren ein glaubhaft verschwitztes, dreckiges, erschöpftes Äußeres.
Tatort: Ein paar dramaturgische Lücken
Die ein oder andere dramaturgische Lücke ist in der von Christina Ebelt geschriebenen und auch inszenierten Story zwar schon zu finden: So bleibt der Film etwa eine Erklärung schuldig, wo sich der vermisste Junge zwischenzeitlich aufhielt. Oder warum Nina, die zunächst unbedingt zur Polizei gehen will, ihre Meinung ändert. Schade zudem, dass die anfangs mehrfach erwähnten nahen Waldbrände dramaturgisch nicht weiter genutzt werden – würde sich dies bei dem fast durchgehend im Wald spielenden Geschehen doch mehr als anbieten.
Nichtsdestotrotz ist “Die große Angst” ein fesselnder, mitreißender Film geworden, was zuvorderst an den nachvollziehbar gezeichneten und toll gespielten Figuren liegt. Vor allem Tobler überzeugt einmal mehr als hartnäckige Ermittlerin mit gutem Bauchgefühl. Der auf einem realitätsnahen Drehbuch beruhende, angenehm bodenständig in Szene gesetzte Film scheint dieser Figur auf stimmige Weise zu entsprechen: ohne großes Auftrumpfen, klug, einfühlsam, authentisch – und mit feinem Gespür für das Wesentliche.