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Suhrkamp-Verleger: Krisen wecken Bedürfnis nach leichter Lektüre

Auch 75 Jahre nach der Gründung werden im Suhrkamp-Verlag noch Autoren wie Max Frisch und Hermann Hesse mit Erfolg verlegt. Das ist aber nicht alles. Warum Verleger Landgrebe trotz KI an die Zukunft des Buches glaubt.

Der Suhrkamp-Verlag ist renommiert – und mit seinen einfarbigen Bücherrücken in allen Regenbogenfarben und Nachkriegsautoren wie Hermann Hesse und Max Frisch bis heute Kult. Vor 75 Jahren, am 1. Juli 1950, wurde er von Peter Suhrkamp in Frankfurt am Main gegründet; Sitz ist mittlerweile Berlin.

Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit dem aktuellen Verleger Jonathan Landgrebe am Montag über das Verlagsprofil im Jubiläumsjahr, Lesevorlieben in Krisenzeiten, Künstliche Intelligenz – und warum Vorlesen für Kinder wichtiger denn je ist.

Frage: Herr Landgrebe, Kinder können immer schlechter lesen, Smartphone und KI sind unser aller ständiger Begleiter. Welche Zukunft haben da noch gute Bücher?

Antwort: Ich bin sicher, dass Bücher – und zwar sowohl Sachbücher als auch literarische Bücher – weiterhin eine nachhaltige Bedeutung haben werden. Es gibt einfach keine schönere und konzentriertere Form, das Denken anzuregen. Lesen schenke Erfahrungen und Wissen, wie es selbst ein erfolgreiches Leben niemals schenken könne, so formulierte es Peter Suhrkamp einmal.

Frage: Vor 75 Jahren wurde der Suhrkamp Verlag gegründet. Welche Bedeutung hat er in der Verlagslandschaft heute?

Antwort: Der Verlag hat die geistige Entwicklung der Bundesrepublik entscheidend geprägt. Darauf sind wir stolz und diese Tradition bleibt wesentlicher Antrieb und Maßstab auch in der Gegenwart. Wir legen als Verlag nach wie vor Wert auf Qualität und natürlich mischen unsere Bücher bei den entscheidenden öffentlichen Debatten auch heute noch mit, vor allem im Hinblick auf historische, philosophische und auch soziologische Themen.

Frage: Was lesen die Menschen in der Gegenwart gern?

Antwort: Das kann man nicht pauschal beantworten. Es gibt zurzeit sicherlich ein Bedürfnis nach leichterer Lektüre, nach Fantasiewelten, nach Momenten, in denen man sich nicht den Realitäten stellen muss, mit denen wir heute konfrontiert sind. Auf der anderen Seite bleiben Bücher nachgefragt, die sich den aktuellen Debatten stellen, Bücher von denen man etwas lernen kann. Wenn ich mir etwa unsere zwei großen Erfolge der letzten Zeit anschaue: Steffen Mau, “Ungleich vereint”, über die Wiedervereinigung und das Verhältnis zwischen Ost und West aus soziologischer Sicht. Oder den Roman “Das Narrenschiff” von Christoph Hein, der humorvoll und zugleich tiefernst in die Geschichte der DDR eintaucht. Das sind beides Bücher, die lange in den Bestsellerlisten stehen.

Frage: Suhrkamp verlegt inzwischen auch Kinder- und Jugendbücher. Weshalb?

Antwort: Ja, wir verlegen diese Bücher im Insel Verlag, der eine Tradition im Bereich des Kinderbuchs hat. Kinder und junge Erwachsene sind diejenigen, die all dem, was augenblicklich passiert, am stärksten ausgesetzt sind – insbesondere in den sozialen Medien. Und wenn man dran glaubt, dass Lesen, Bücher und Literatur eine Rolle spielen für den einzelnen Menschen und die ganze Gesellschaft, dann sollte man dabei als allererstes an die Kinder und Jugendlichen denken.

Frage: Wie gelingt es Ihnen, diese Zielgruppe zum Lesen zu bekommen?

Antwort: Ich glaube, die Mischung macht es: Das Besondere, aber zugleich die Bereitschaft, auch mal einen zugänglicheren Weg ins Lesen als ersten Schritt zu akzeptieren. Unsere Reihe “Little People – Big Dreams” – das sind Biografien berühmter Personen wie Einstein, Madonna oder Anne Frank – ist zum Beispiel ein Einstiegsangebot, um mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Es sind sehr kurze Bücher, und sie bieten sich auch zum Vorlesen an. Kindern vorzulesen, das war nie wichtiger als heute. Zu dieser Reihe zum Beispiel bekommen wir immer noch unglaublich positive Resonanz, auch aus Schulen.

Frage: Welche Rolle spielen innerhalb des Suhrkamp Verlags der Jüdische Verlag und der Verlag der Weltreligionen – sind deren spezifischen Bücher noch nachgefragt?

Antwort: Der Verlag der Weltreligionen ist ein wichtiges Projekt, das inzwischen abgeschlossen ist. Sein Zentrum bildet eine rund hundertbändige Sammlung religiöser Quellenschriften aus aller Welt, die ganz der guten Suhrkamp-Tradition “Aufklärung durch Wissen” folgt. Im Jüdischen Verlag erscheinen weiterhin und kontinuierlich neue Bücher. Ich denke zum Beispiel an Amir Tibons “Tore von Gaza”. Auf brillante Art dokumentiert der Autor darin die Ereignisse des 7. Oktober und reflektiert die Geschichte Israels. Wir beschäftigen uns also innerhalb des Jüdischen Verlags weiterhin mit jüdischer Kultur und Geschichte.

Frage: Wie geht es dem Verlag unter dem neuen Eigentümer Dirk Möhrle? Als Besitzer einer Baumarktkette kommt Möhrle aus einer buchfernen Branche und bringt damit vermutlich eine ganz andere Perspektive mit…

Antwort: Ja – eine unternehmerische Perspektive, die langfristig orientiert ist. Er weiß, was es bedeutet, über Jahrzehnte und mit Durchhaltevermögen etwas aufzubauen. Die Kompetenzen, die er hat und die Dinge, die er in seinem Leben erfahren hat, lassen sich also durchaus auch auf den Verlag anwenden. Und er hat von Anfang an erklärt, dass er die verlegerische Unabhängigkeit nicht in Frage stellt. Insgesamt kann man sagen: Wir haben mit ihm großes Glück gehabt.

Frage: Lesen Sie lieber digital oder analog?

Antwort: Wenn es drauf ankommt, lese ich immer noch vornehmlich analog. Der E-Reader kommt aber mit, wenn ich unterwegs bin und das Tragen von vielen Büchern oder Manuskripten vermeiden will.

Frage: Wie viele Manuskripte haben Sie denn als Verleger insgesamt gelesen – oder machen das andere für Sie?

Antwort: Nein, ich lese schon sehr viel. Und das Lesen von Manuskripten, das Lesen von Büchern, das ist ja der Grund, warum man diesen Beruf wählt. Ich lese jährlich sicher hunderte Manuskripte.

Frage: Werden viele Manuskripte unverlangt eingesandt?

Antwort: Ja, es passiert aber nicht häufig, dass daraus eine Veröffentlichung hervorgeht.

Frage: Mit Suhrkamp verbinden wahrscheinlich vor allem ältere Leser die Autoren Hermann Hesse oder Max Frisch. Sind diese “Klassiker” heute noch nachgefragt?

Antwort: Der Suhrkamp Verlag konnte sich viele Jahrzehnte auf Autoren stützen, die noch aus der Gründungsphase unter Peter Suhrkamp stammen, diese Namen gehören dazu. Siegfried Unseld hat darauf aufbauen können. Heute rückt das 20. Jahrhundert, je weiter es entfernt ist, zunehmend in den Hintergrund. Das Fundament bleibt es dennoch. Kontinuierlich lassen sich zugleich Texte der Vergangenheit immer wieder neu entdecken. Beispielsweise haben wir vor einiger Zeit einen Text von Theodor Adorno über Antisemitismus veröffentlicht. Das sind nicht nur Texte, die inhaltlich Bedeutung haben, solche Texte, kommen sie zur rechten Zeit, können sich auch viele zehntausend Mal verkaufen.

Frage: Die KI schreibt auch Bücher – macht Ihnen das Angst?

Frage: Angst ist der falsche Begriff. Die absehbar grundlegenden Veränderungen, die mit KI einhergehen, müssen uns alle beschäftigen. Wer das nicht berücksichtigt, der macht ganz sicher einen Fehler. Aber auch die KI wird an Grenzen geraten. Gerade die Dinge, die unsere Autorinnen und Autoren denken, und erforschen oder literarisch erschaffen, werden sich zu großen Teilen nicht durch KI ersetzen lassen.