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Studie sieht problematische Regeln bei Organ-Vergabe

Menschen, die ein Spender-Organ benötigen, müssen oft lange darauf warten. Die Kriterien für die Vergabe werfen einer Studie zufolge Fragen auf.

Starre Altersgrenzen bei der Zuteilung von Organen in der Transplantationsmedizin sorgen nach einer Studie für große Ungerechtigkeiten zwischen unterschiedlichen Altersgruppen. Das ergab eine am Montag im “Deutschen Ärzteblatt” veröffentlichte Analyse, die erstmals auf Daten aus dem 2016 errichteten nationalen Transplantationsregister zurückgreifen konnte.

Im aktuellen Regelwerk gibt es zwei Altersgrenzen, den 18. und den 65. Geburtstag, die einen erheblichen Einfluss auf die Wartezeit haben. Die Analyse, die Datensätze von 19.664 Nierentransplantationen der Jahre 2006 bis 2020 einbezog, ergab, dass die durchschnittliche Wartezeit auf eine Niere – gemessen seit Beginn der dauerhaften Dialyse – 5,8 Jahre beträgt. Für Patientinnen und Patienten unter 18 Jahren liegt die mittlere Wartezeit bei 1,7 Jahren, während 18- bis 64-Jährige im Schnitt 7 Jahre warten müssen. Personen ab 65 Jahren erhalten im Median nach 3,8 Jahren eine Transplantation.

Seit Jahrzehnten erfolgt die Organzuteilung nach Verteilungsregeln des Eurotransplant-Verbundes, in dem sich acht europäische Länder zusammengeschlossen haben. Laut Studie werden 65-Jährige fast viermal häufiger transplantiert als 64-Jährige. Zudem konnten die Autoren nachweisen, dass die Differenz der Wartezeit zwischen Personen unter 65 Jahren und Personen über 65 Jahren weiter ansteigt: In den Jahren 2006 bis 2010 lag sie bei 2,6 Jahren, im Zeitraum 2017 bis 2020 bei 4,1 Jahren.

Wachsende Ungleichheiten existieren ebenfalls an der Altersgrenze zum 18. Lebensjahr. Studienautor Benedikt Kolbrink beschreibt die Folgen anhand des Beispiels von zwei Jugendlichen, die im Alter von 16 Jahren dialysepflichtig werden. Aufgrund des Kinder-Bonus und weiterer günstiger Umstände wird einer von ihnen bis zum 18. Lebensjahr transplantiert. Der andere erreicht sein 18. Lebensjahr, ohne transplantiert worden zu sein. Die Konsequenz: Sein Kinder-Bonus verfällt komplett und die Wartezeit nimmt sprunghaft um fünf Jahre zu.

“Derartig sprunghafte Veränderungen sind medizinisch weder sinnvoll noch begründbar”, sagt Kevin Schulte vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel und Letztautor der Studie. “Aus ethischer Sicht muss das Regelwerk die individuelle Chancengerechtigkeit der Wartenden und den gesellschaftlichen Nutzen der verfügbaren Organe austarieren. Scharfe Altersgrenzen und sich sprunghaft verändernde Wartezeiten werden nach unserem Verständnis weder dem einen, noch dem anderen gerecht.”