Experten haben erstmals die Ursachen für Missbrauch und sexuelle Gewalt im Bistum Speyer untersucht. 150 mutmaßliche Täter seit 1946 sind identifiziert. Kinderheime waren laut Studie “Hotspots” für Missbrauch.
Fehlende Machtkontrolle und autoritäre Amtsausübung haben laut einer neuen Studie jahrzehntelang Missbrauch und sexualisierte Gewalt durch Priester, Ordensleute und kirchliche Mitarbeiter ermöglicht und begünstigt. “Die kirchlichen Strukturen haben die Straftaten maßgeblich begünstigt”, heißt es in der am Donnerstag vorgestellten Studie zu Missbrauch im Bistum Speyer. Die unabhängige Untersuchung wurde von Wissenschaftlerinnen der Universität Mannheim erarbeitet.
“Mitverantwortlich für das Verschweigen von Missbrauch und die langjährige Verhinderung von Prävention dürfte zudem die rigide Sexualmoral der katholischen Kirche sein”, sagte die Historikerin und Studienleiterin Sylvia Schraut.
Die Untersuchung hat Personalakten und weitere Aufzeichnungen des Bistums für die Zeit von 1946 bis in die Gegenwart ausgewertet und kommt so zu einer Gesamtzahl von 109 Priestern und 41 Kirchenmitarbeitern, die des Missbrauchs oder sexueller Übergriffe beschuldigt wurden. Die Forscherinnen gehen von einer Dunkelziffer, also von weiteren, bislang nicht bekannten Fällen aus.
Die Hälfte der Missbrauchstaten geschah laut der Studie in den 1950er und 1960er Jahren, danach ging die Zahl der Missbrauchstaten zurück. Beschuldigungen gegen Kirchenmitarbeiter, die keine Priester oder Ordensleute sind, finden sich erst ab dem Jahr 2009 in den Akten, die die Studie auswertete.
Als einen “Hotspot” für Übergriffe bezeichnet die Studie kirchliche Heime für Kinder und Jugendliche. Dort hätten Kleriker und andere Berufsgruppen jahrelang ein “Betriebsklima” vorgefunden, “das sexuelle Übergriffe erleichterte”, heißt es in der Studie. Beispielsweise kam es in einem früheren Kinderheim in der Speyerer Engelsgasse zu Missbrauch und Gewalt.
“Die von Rom gestützte Autonomie der Orden ermöglichte geistliches Handeln im Bistum weitgehend ohne Kontrolle”, betonte Schraut. “Das Aufsichtsverhältnis in der Zusammenarbeit von Orden und Bistum ist bis heute nicht befriedigend gelöst.”
Die Universität Mannheim kündigte an, innerhalb des auf vier Jahre angelegten Forschungsprojekts 2027 einen zweiten Bericht zu veröffentlichen. Darin soll es um konkrete und detaillierte Fallanalysen gehen.