Foto: epd
Von Veit Hoffmann
Der Begriff Frieden wurde schon immer arg strapaziert. Im privaten Bereich ebenso wie im gesellschaftlichen. Wie oft sagen wir lass mich in Frieden! und wollen eigentlich nur unsere Ruhe haben und ungestört sein? Auch im Nahen Osten oder in der Ukraine reden die Parteien viel vom Frieden, verhandeln miteinander und meinen damit jedoch nur die Durchsetzung eigener Vorstellungen. So war das schon immer! Was der römische Kaiser Augustus zur Zeit Jesu unter der Pax Romana verstand, war eigentlich ein Herrschaftsanspruch der besagte: Wer sich fügt, dem tun wir nichts! Selbst Jerusalem, jene Stadt, die das Wort Frieden (Schalom) in sich trägt, hat Frieden selten erlebt. Stets liegt die Ungerechtigkeit auf der Lauer um mit dem Frieden einen teuflischen Pakt einzugehen.
Friede ist einer der meist gebrauchten Begriffe in der Bibel. Vom Herrn geht er aus und mit Gerechtigkeit geht er einher. Wo Gott redet, da küssen sich Friede und Gerechtigkeit heißt es im 85. Psalm. Der Prophet Jesaja nennt ihn die Frucht der Gerechtigkeit (Jesaja 32) und der Prophet Sacharja stellt ihm die Wahrheit an die Seite (Sacharja 8). Vielleicht wollten die Propheten uns eine Art Brille aufsetzen, damit wir klarer sehen, was uns so alles als Friede offeriert und verschwommen zur Unterschrift vorgelegt wird. Ihrer Meinung nach kann Friede ohne Gott nur zu einer herben Selbsttäuschung werden, verbunden mit bitteren Erfahrungen.
Eigentlich ist Frieden ein transzendenter Begriff, weil er eine von Gott ausgehende Kraft meint. Einen Zustand, der das Zukünftige in sich trägt, die Vorwegnahme der vollendeten Schöpfung, in der die Tränen versiegt sind und Klage und Geschrei verstummen. Christus ist unser Friede heißt es im Epheserbrief (Kapitel 2). In seiner Gestalt ist er sichtbar geworden und zu den Menschen gekommen. Heilend, tröstend, Hoffnung spendend. Er hat sich nicht auf Abwege führen lassen, hat das Bündnis mit dem Verführer ausgeschlagen. Auch die beschauliche Nische Galiläa, die seine Jünger ihm statt Kreuzestod in Jerusalem anpriesen, hat er abgelehnt.
Es gibt keine menschliche Untiefe, in die er nicht hinabgestiegen ist. Aus dieser Überzeugung hat Martin Luther diese Liedstrophe gedichtet, die ich meist nicht singen lasse: Nehmen sie den Leib / Gut, Ehr, Kind, Weib / lass fahren dahin / sie haben´s kein Gewinn / das Reich muss uns doch bleiben. Im Hinblick auf die tausendfachen Kreuzigungen, die Untaten und Folterungen, von denen wir täglich erfahren, kann ich Luthers Liedstrophe nur stockend singen. Und doch spricht sie die Gewissheit aus, dass da eine Gotteskraft ist, die auch vor den Pforten der Hölle nicht Halt macht. Sie vielmehr durchschreitet, hin zu jenem Frieden, von dem wir weit entfernt sind. Hin zu jenem Friedensreich, um das in jeder Minute irgendwo auf der Welt millionenfach gebetet wird: Dein Reich komme.