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Star-Pianist Igor Levit: Musik muss erst einmal gar nichts

Der Pianist Igor Levit mischt sich immer wieder politisch ein und erhebt die Stimme gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. Warum die Demokratie seiner Ansicht unter Druck geraten ist.

Star-Pianist Igor Levit sieht die Demokratie unter Druck
Star-Pianist Igor Levit sieht die Demokratie unter DruckImago / Stephan Wallocha

Der Star-Pianist Igor Levit hält nichts davon, sich in Krisenzeiten von der Musik Rettung zu erwarten. “Musik muss erst einmal gar nichts”, sagte Levit der Süddeutschen Zeitung. Sie könne aber sehr viel, etwa Räume des gemeinsamen Erlebens schaffen. “Aber es wäre naiv zu denken, dass Musik allein unsere Gesellschaft zusammenhalten kann. Nicht in dieser Zeit, in der die politische, ethische und moralische Existenzgrundlage dieser Bundesrepublik im Begriff ist, eingerissen zu werden.”

Levits Ansicht nach tragen die wachsende soziale Ungerechtigkeit und die immer desolater werdende Infrastruktur eine Mitschuld am Erstarken der Faschisten in Deutschland. Ihnen sei es deshalb immer leichter gefallen, Menschen für ihren Populismus zu gewinnen. Hauptgrund für die aktuelle Situation aber sei die schlechte Politik der vergangenen Jahrzehnte. “Das Versprechen der Demokratie liefert nicht.”

Igor Levit: Als Jude fühle es sich eng an

Er sei kein Angst-Mensch, versicherte Levit. Dennoch habe er als Jude in Deutschland zurzeit das Gefühl, dass die Luft zum Atmen fehle, dass Freiräume weniger würden. “Es fühlt sich sehr, sehr eng an, viel enger als früher.” Der Schutz der Demokratie sollte Levits Auffassung nach nicht nur Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, sondern auch der Politik und des Staates. Der Ruf nach staatlicher Verantwortung sei aber so vage. Er konzentriere sich daher gerade darauf, sich ein Stück weit emotional zu schützen, um das Gefühl von Sinnhaftigkeit zu behalten.

Igor Levit spielte im Rahmen der Initiative Das gelbe Piano, um an den in Israel entführten Pianisten Alon Ohel zu erinnern
Igor Levit spielte im Rahmen der Initiative Das gelbe Piano, um an den in Israel entführten Pianisten Alon Ohel zu erinnernImago / Sabine Gudath

Dafür gehe er an bestimmte Orte und treffe Menschen, die zivilgesellschaftlich viel leisteten, gerade da, wo sie sich in Gefahr begäben, sagte der Musiker. “In kleinen Städten und Dörfern in Ostdeutschland, in Thüringen, Brandenburg und Sachsen. Das inspiriert mich und baut mich auf.” Da lebten Menschen, die kleine Cafés aufrechterhielten, obwohl sie im Grunde jeden Tag in ihrer Existenz bedroht würden. “Denen gesagt wird, wenn du nicht einen von uns bedienst, dann bist du weg – und trotzdem bleiben die Cafés offen.”

Zugleich lobt Levit Arbeit der KZ-Gedenkstätten

Mit Schülerinnen und Schülern müsse über den Holocaust gesprochen werden. “Irgendwann wird es so weit sein, dass die letzten Überlebenden nicht mehr unter uns sind. Wir müssen aus der Lehre der Vergangenheit Verantwortung für Gegenwart und Zukunft formulieren und jungen Menschen klarmachen, von welch existenzieller Bedeutung es ist, Historie zu verstehen, sich zu bilden, zu lernen und daraus Schlüsse für Gegenwart und Zukunft zu ziehen.” Levit ist am 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus zu Gast bei einem Gespräch im Ludwig-Thoma-Haus in Dachau.