Die Rolle der Frauen in der Reformation wird immer mehr entdeckt und erforscht. Der in Berlin lebende Theologe und Publizist Uwe Birnstein hat nun eine Biografie über Argula von Grumbach verfasst. Amet Bick sprach mit ihm über die lang vergessene bayerische Reformatorin.
Herr Birnstein, Sie leben in Berlin und schreiben eine Biografie über eine bayerische Reformatorin. Erklären Sie uns das bitte.Bevor es mich nach Berlin verschlug, verbrachte ich einige Jahre in dem oberbayerischen Dorf Oberpfaffenhofen – was seinem Namen alle Ehre erweist. Zu dieser Zeit hörte ich erstmals den Namen „Argula“ und war fasziniert. Über diese Frau wollte ich mehr wissen. Je mehr ich forschte, umso mehr faszinierte sie mich: eine gebildete Frau, die Luther las und kannte und den Herrschern ihrer Zeit selbstbewusst Paroli bot. Eine „Mutter Courage“ der Reformation.
In dieser Zeit kennen Sie sich gut aus, Sie schrieben bereits Biografien über Philipp Melanchthon und Johannes Calvin. Ist Argula vergleichbar mit den beiden? In zwei Punkten: Wie die beiden prominenten Reformatoren litt sie darunter, dass die damalige Kirche sich so sehr von ihrer Grundlage, der Bibel, entfernt hatte. Und genauso leidenschaftlich wie die beiden setzte sie sich dafür ein, dass die Menschen die befreiende Kraft des Glaubens selbst entdecken konnten, ohne Vermittlung durch die Kirche. Aber durch die Beschäftigung mit Argula von Grumbach lernte ich auch eine mir bislang wenig bekannte Seite der Reformation kennen. Sie wurde getragen von einfachen, nichtstudierten Menschen, die in der Provinz mutig den arroganten Machthabern die Stirn boten. Diese Männer und Frauen lebten mitunter gefährlicher als Luther und seine Mitstreiter.
Worüber hatte sich Argula eigentlich so empört?Im Sommer 1523 hatte ein erst 18-jähriger Student namens Arsacius Seehofer Luthers Ideen aus Wittenberg an die stramm papsttreue Ingolstädter Universität gebracht. Als das bekannt wurde, forderte der Rektor ihn auf, zu widerrufen. Die evangelisch fromme Argula lebte in der Nähe und empfand das als große Sünde. Sie schrieb einen offenen Brief an die Universität und nahm kein Blatt vor den Mund: Die Universität würde „töricht und gewalttätig wider das Wort Gottes“ handeln. „Schämt ihr euch nicht, dass Arsacius die Schriften Martin Luthers verleugnen musste?“, mahnte Argula die „Schriftgelehrten“: „Zeigt mir, wo es steht, ihr hohen Meister! Ich finde es an keinem Ort der Bibel, dass Christus oder seine Apostel oder Propheten andere eingekerkert, gefoltert oder ermordet oder sie aus dem Land vertrieben haben.“ Am Ende fordert sie zu einer öffentlichen Disputation auf. Dieser und weitere Briefe wurden zigtausendfach gedruckt und verbreiteten sich im ganzen Land.
Bekam sie Reaktionen?Die evangelisch Gesinnten stärkten ihr den Rücken. Von den Empfängern ihrer Briefe jedoch meldete sich niemand. Sie schrieb später auch an weltliche Herrscher, den bayerischen Herzog – keiner von ihnen hatte Mut, sich dem Gespräch zu stellen. Lediglich ein anonymes Spottgedicht gegen sie erschien. Der Ingolstädter Rektor nannte sie „Teuflin“. Martin Luther hingegen lobte sie als standhafte „Jüngerin Christi“. Im Juni 1530 lernten Argula und Luther sich sogar persönlich kennen, sie besuchte ihn auf der Veste Coburg.
Jeder Reformator hatte eine starke Frau im Rücken – was war mit Argulas Mann?Auch hier stand Argula ziemlich allein. Ihr Mann Friedrich von Grumbach teilte die Ansichten seiner Frau nicht, er blieb der Papstkirche treu. Aber immerhin: Rein rechtlich hätte er sie stoppen können, das tat er nicht. Vielleicht war er eine Art Prototyp des „neuen Mannes“, der das Anderssein seiner Frau tolerierte, vielleicht sogar respektierte. Die Liebe zu ihr war ihm offensichtlich wichtiger als der Job. Weil er sie nicht bremste, verlor er schließlich seine Anstellung und sein gesellschaftliches Renommee. Er starb 1529.
Und Argula?Kümmerte sich um ihre Kinder – und um die Verwaltung ihrer Ländereien. Sie starb 1554 ziemlich einsam im fränkischen Zeilitzheim bei Würzburg. Im dortigen Schlosshotel gibt es sogar ein nach ihr benanntes Zimmer. Ein schönes Reiseziel auch für Berliner.