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Spannende Real-Crime-Doku über einen Beziehungstäter der anderen Art

Die dreiteilige Real-Crime-Doku “Love Scam” bei Sky/Wow porträtiert mal keinen Ritualmörder, sondern einen Hochstapler. Gerade das Alltägliche an Dennis W. allerdings macht die Serie so interessant.

Vertrauen ist ein Grundnahrungsmittel des sozialen Miteinanders. Wer es verliert, irrt hungrig durchs Leben, ist gehemmter und ängstlich, aber auch wachsamer, wehrhafter, resilienter. Gebrochenes Vertrauen ist schließlich wie zerknülltes Papier: Man kann es entfalten, glätten, wieder beschriften; die Falten aber bleiben sichtbar. “Ich bin gegenüber Menschen und ihren Darstellungen skeptischer”, sagt Rene zum Beispiel, nachdem sein Vertrauen in andere nicht nur zerbrochen, sondern pulverisiert wurde. “Ich hinterfrage heute fast alles”, meint sein Schicksalsgenosse Andreas. Und auch Matthias fällt es nun schwerer, noch “ans Gute im Menschen” zu glauben.

Der Grund dafür verbindet alle drei wie Narben derselben OP: Dennis W. war ein schwuler Rechtsanwalt aus Köln mit eigener Kanzlei und bester Reputation. Das dachten zumindest Rene, Andi und Matthias, die ihm auf unterschiedliche Art auf den Leim gegangen sind. Denn tatsächlich heißt Dennis W. anders und ist ein schwuler Pädagoge, der zwar irgendwann mal ein juristisches Seminar an der Fernuni Hagen belegt, ansonsten aber ein überaus merkwürdiges Rechtsempfinden hat. Was alle vier Männer verbindet, ist deshalb “Die Geschichte eines unglaublichen Betrugs”.

So lautet der Untertitel der hochinteressanten Real-Crime-Doku “Love Scam”, die ab dem 30. Mai bei Sky Unglaubliches zutage fördert. Vor elf Jahren hat sich Dennis W. in Matthias Rödders Leben geschlichen, mehr noch: fast vollständig davon Besitz ergriffen. Und dass der selbsterklärte “Schauspieler, Musiker, Bauleiter” dafür wie Rene und Andreas nun dreimal 40 Minuten lang mit Namen, Gesicht, Biografie vor Nils Bökamps Kamera steht, ist allerdings mehr als die Aufarbeitung eines besonders perfiden Falls von Hochstapelei; es ist auch ein therapeutischer Rachefeldzug.

Als Andreas R. Dennis W. 2014 in einer Bar kennenlernt und mit nach Hause nimmt, sind bald alle begeistert vom stilvollen Charmeur mit Anwaltskanzlei. “Ich fand ihn toll”, erinnert sich Rödders Kumpel Kai an den neuen Freund, der “sich gut integriert” habe. Dennis W. “fühlte sich pudelwohl bei uns”, erzählt Matthias’ Schwester Kathrin, inklusive Familienfesten mit Kind und Kegel. Auch für John, mit dem Dennis eine Zeit lang zusammenwohnte, wurde der neue Mitbewohner schnell zum Teil seiner Clique, so “humorvoll und unterhaltsam” sei er gewesen.

Kurzum: “Es fühlte sich ziemlich perfekt an”, räumt Matthias Rödder ein. Zumindest, bis die Makellosigkeit Risse bekam. Am Ende der ersten Folge nämlich beginnt Dennis’ Fassade zu bröckeln. Wenn er Freunde und Bekannte vor Gericht vertritt, bleibt ihr Strafverteidiger verblüffend passiv. Aktiv wird er hingegen, wenn er sich von ihnen Generalvollmachten inklusive Prokura einholt. Und als Andreas auf dem Handy seiner “großen Liebe” neben expliziten Chats noch explizitere Dating-Apps entdeckt, nimmt der Aktionismus auch noch sexuelle Formen an.

Je genauer Nils Bökamps Produktionsfirma “Thursday Company” also ins sorgsam dekorierte Wolkenkuckucksheim eines habituellen Lügners blickt, desto naiver wirken die Mieter. Einerseits. Denn “je tiefer wir in die Geschichte und die Vergangenheit von Dennis W. eingetaucht sind”, nimmt der Regisseur sie in Schutz, “desto mehr wurde für uns alle erkennbar, dass wirklich jeder auf einen solchen Menschen hereinfallen kann.” Und genau das macht diese Real-Crime bei aller fesselnden Unterhaltung so bedeutsam.

Anders als die Abertausenden Ritualmörder und Serienkiller anderer dokumentarischer oder realfiktionaler True-Crime-Film- und Fernsehformate, die uns dem irrigen Grusel unablässiger Lebensgefahr durch krasse Kapitalverbrechen aussetzen, bleibt “Love Scam” – zu Deutsch “Liebesschwindel” – bodenständig. Und damit tatsächlich für uns alle denkbar. In einer Mischung aus Heinz Rühmanns “Hauptmann von Köpenick” und Leonardo DiCaprios “Frank Abagnale” machen Kleider und ihre Geschichten Leute wie Dennis W. schneller glaubhaft, als man “Catch Me if You Can” sagen kann.

Was hier größer ist – die kriminelle Energie des Täters oder die leutselige Leichtgläubigkeit der Opfer – bleibt am Ende Auslegungssache einer Dokumentation, die dem Genre wirklich mal etwas mehr hinzufügt als den nächsten Thrill beispielloser Gewaltverbrechen im Gewand der Alltäglichkeit. Dass man einem Ritualmörder vors Messer läuft, ist statistisch gesehen ja nahezu ausgeschlossen. Begegnungen mit Ritualbetrügern wie Dennis W. dagegen sind jederzeit denkbar. Also zugesehen und aufgepasst! Falsches Urvertrauen führt unweigerlich zur Übersättigung.