Das Christentum verliert an Bedeutung – Soziologe Pollack fordert eine ehrliche Analyse statt theologischer Beschwichtigungen. Säkularisierungstrends ließen sich nicht einfach mit religiösen Argumenten wegreden.
Der Religionssoziologe Detlef Pollack hat dem Theologen Paul Zulehner vorgeworfen, sich der Realität zu verweigern. Zulehner wolle die Theologie gegen sozialwissenschaftliche Erkenntnisse immunisieren, schrieb Pollack in einem Beitrag für die Zeitschrift “Communio” am Montag (online).
Der Wiener Pastoraltheologe Zulehner hatte in der vergangenen Woche davor gewarnt, angesichts des kirchlichen Bedeutungsverlustes die Pluralität religiöser Überzeugungen zu unterschätzen. Gott wohne in jedem Menschen, so Zulehner. Der Pastoraltheologe forderte, dass die Soziologie in ihrer Situationsbeschreibung auch theologische Kategorien berücksichtigen müsse.
Pollack kritisierte Zulehners Annahme, dass Religion eine anthropologische Notwendigkeit sei und dass der Bedeutungsverlust des Christentums nur eine Wahrnehmungsfrage sei. Dabei handle es sich um einen “theologischen Schnellschuss”, der versuche, “das Problem der Säkularisierung ein für alle Mal vom Tisch zu wischen”. Auch die ausweichende Rede von einem Gott, der sich verberge und nur aufgespürt werden müsse, sei eine theologische Verteidigungsstrategie, so Pollack.
Laut Pollack zeigten empirische Studien deutlich den Rückgang der sozialen Relevanz des Christentums in Westeuropa, was sich nicht einfach durch eine theologische Deutung wegdiskutieren lasse. Viele der Antworten, die die Theologie darauf gebe, hätten sich als untauglich erwiesen.
Stattdessen plädierte Pollack dafür, die Ursachen des Bedeutungsverlusts – wie Individualisierung, Selbstbestimmung und gesellschaftliche Differenzierung – wissenschaftlich zu erforschen, um Gegenstrategien zu entwickeln. Als mögliche Gründe nannte der Soziologe Tendenzen der Individualisierung und den Anspruch auf personale Selbstbestimmung, die Relativierung weltanschaulicher Erklärungsansprüche, die Differenzierung religiöser Sinnformen von Wissenschaft, Kunst und Politik und den Attraktivitätsgewinn von Freizeitaktivitäten und Konsum.