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Soziologe Nassehi: Darum sollte man dem Zufall mehr Raum geben

Während der Corona-Zeit hätten alle versucht, eine Ausnahmesituation unter Kontrolle zu bringen, sagt der Soziologe Armin Nassehi. Dabei könne es hilfreich sein, sich auf das Unerwartbare einzulassen – auch im Alltag.

Menschen brauchen nach Worten des Soziologen Armin Nassehi auch das Unerwartete, um zu lernen und sich zu entwickeln. “Je komplexer und unvorhersehbarer die Welt ist, desto wichtiger ist es, flexibel zu sein und sich anzupassen”, sagte er im Interview der Zeitschrift “Psychologie Heute” (Oktober-Ausgabe). Wer sich vorstellen könne, dass Dinge anders liefen als geplant oder erwartet, könne auch besser damit umgehen, wenn dies tatsächlich geschehe.

In schwierigen Zeiten sei eine solche Akzeptanz besonders wichtig, falle aber auch besonders schwer, fügte der Münchener Professor hinzu. “Wenn wir uns unsicher fühlen, wollen wir oft alles kontrollieren und sind sehr nervös, wenn sich etwas ändert.” Bewusst üben lasse sich der Umgang mit Unsicherheiten: “Dies wird oft als Ambiguitätstoleranz bezeichnet, also die Fähigkeit, es auszuhalten, dass viele Dinge auch anders sein könnten.”

Wer dem Zufall mehr Raum gebe, könne sich weiterentwickeln, erklärte Nassehi. Dazu gehöre es, zu akzeptieren, dass Veränderungen unausweichlich seien: “Wenn wir manchmal wollen, dass alles gleich bleibt, ändert sich die Welt trotzdem.”

Da nichts allein aus Notwendigkeit geschehe, suchten Menschen nach Erklärungen und mitunter nach Schuld, so der Forscher. Kultur, Gewohnheiten und Weltbilder sollten letztlich Unbeständigkeiten reduzieren. Welche Perspektive für den und die Einzelne hilfreich sei, um mit unerwarteten Situationen umzugehen, sei individuell sehr unterschiedlich.

Häufig würden Schicksal oder Vorherbestimmung als Möglichkeit betrachtet, um etwa Schicksalsschläge wie Krankheiten zu verstehen. Nassehi: “Wissenschaftlich betrachtet wissen wir, dass beides zutrifft: Krebs hat einen genetischen Anteil an Vorherbestimmung, aber es gibt auch eine Schicksalhaftigkeit, da eine genetische Vorherbestimmung nicht zwangsläufig zum Ausbruch der Krankheit führt.”