Geschlossene Grenzen und Abschottungspolitik können in Europa nicht funktionieren, mahnt Migrationsforscher Hein de Haas. Stattdessen brauche es mehr legale Migrationswege – nicht nur für hoch qualifizierte Fachkräfte.
Auch für ungelernte Migranten braucht es aus Sicht des Soziologen Hein de Haas mehr legale Zugangswege nach Europa. “Der Hunger nach Arbeitskräften wird nicht nachlassen, solange das Wirtschaftswachstum anhält”, sagte der niederländische Migrationsforscher in einem “Spiegel”-Interview (Samstag).
Dabei gehe es nicht nur um Fachkräfte, sondern auch Menschen ohne Ausbildung, die in Küchen, Schlachthöfen oder als Reinigungskräfte arbeiteten. “Sie wissen, dass sie in Europa Arbeit finden, zur Not auch ohne Aufenthaltsgenehmigung.” Legale Migrationswege kämen hier nicht nur der Wirtschaft zu Gute, über sie ließe sich auch “besser kontrollieren, wer hereinkommt”.
Eine zunehmende Abschottungspolitik in Europa sieht der Soziologe als wenig zielführend an. “Es ist schlicht unmöglich, solche Grenzen vollständig dichtzumachen – es sei denn, man schießt scharf oder stellt den Handel ein.” Zudem komme mindestens die Hälfte aller irregulären Migranten zunächst auf legalem Wege und überziehe erst danach ihr Visum. Parolen wie “Wir müssen die Invasion stoppen” seien “Fake-Lösungen” und trügen zur Spaltung der Gesellschaft bei.
Letztlich führen Beschränkungen nach Worten des Forschers nicht zu weniger, sondern im Gegenteil oft zu mehr illegaler Einwanderung. Viele Migranten wollten sich zum Arbeiten und Geld verdienen eigentlich nur vorübergehend in einem Land aufhalten. “Doch sobald sie Angst haben, nicht wieder hereingelassen zu werden, ändert sich das. Dann entscheiden sich viele, dauerhaft zu bleiben.” Als Beispiel nennt de Haas den Brexit, der eigentlich die Zahl der Migranten reduzieren sollte, aber das Gegenteil bewirkt habe, weil “so mancher Saisonarbeiter sich entschied, einen permanenten Aufenthaltsstatus zu beantragen”.
Wie in der EU derzeit über Migration gesprochen werde, habe “mit der Art und Weise, wie Migration wirklich funktioniert, oft kaum noch etwas zu tun”, so de Haas, der jüngst das Buch “Migration: 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt” veröffentlicht hat. “Deshalb funktioniert auch die europäische Migrationspolitik nicht: Sie hat sich zu sehr von der Realität entfremdet.” So führten Kriege wie in der Ukraine zwar auf kurze Sicht zu einer größeren Fluchtbewegung. “Aber langfristig ist der Anteil von Migranten und Flüchtlingen relativ stabil, er liegt bei etwa 0,35 Prozent der Weltbevölkerung.” Das Narrativ eines immer größer werdenden Flüchtlingsstroms sei deshalb nicht korrekt.