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Sexualisierte Gewalt: Präventionsstelle zieht erste Bilanz

Die Veröffentlichung der ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie hat die Sensibilität für das Thema erhöht. „Das Bewusstsein wächst, dass Nähe und Beziehungen als große Stärke von Kirche in manchen Situationen eine Schwäche, ein Risikofaktor sein können“, sagt Katharina Seiler von der Stabsstelle Prävention der evangelischen Nordkirche dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zudem hätten mehr betroffene Menschen den Mut, ihr Erlebtes bekannt zu machen.

Elf Betroffene, deren Erleben bisher nicht bekannt war, haben die Fachstelle seit dem 25. Januar kontaktiert. „Das ist deutlich mehr als in den vergangenen Jahren und gut so“, heißt es von der Fachstelle, die es seit 2013 in der Nordkirche gibt. Dafür seien in der Nordkirche eigens Strukturen geschaffen worden. In der Präventionsarbeit der Nordkirche sind inzwischen 30 Fachkräfte tätig.

Wenngleich alle Vorfälle Jahrzehnte zurückliegen und verjährt sind, „gehen sie uns dennoch an“, heißt es von der Stabsstelle. Zentral sei dabei immer, nach dem Wunsch der Betroffenen vorzugehen. Acht von ihnen wünschen demnach, in der Anerkennungskommission gehört zu werden. Einerseits für die persönliche Aufarbeitung, andererseits wegen der Verantwortungsübernahme der Institution. Drei der Betroffenen werden auf Wunsch jetzt in der Aufarbeitung begleitet, was unter anderem Gespräche mit heutigen Verantwortlichen der jeweiligen Institutionen oder Träger beinhaltet, erklärt die Fachstelle.

Die hohe Aufmerksamkeit und Sensibilität für das Thema sexualisierte Gewalt, die durch die ForuM-Studie erneut entstanden sind, führen zu mehr Beratungen sowohl in der Stabsstelle als auch bei den Präventions- und Meldebeauftragten in den 13 Kirchenkreisen und Hauptbereichen – geschätzt zwischen zehn und 20 Prozent. „Das ist gut, denn so gelingt es, frühzeitig zu handeln“, heißt es.

Auch die Erstellung von Schutzkonzepten hat laut Fachstelle noch einmal Fahrt aufgenommen. Für das Predigerseminar in Ratzeburg, die Krankenhausseelsorge und einen Großteil der Schulen der evangelischen Schulstiftung seien die Prozesse bereits abgeschlossen. In den Kirchenkreisen und Hauptbereichen werden demnach auch immer mehr Schutzkonzepte mithilfe der Präventionsbeauftragten fertiggestellt.

Die ForuM-Studie sei ein großer Teil von institutioneller Aufarbeitung, erklärt Katharina Seiler. Dennoch sei klar: „In der Aufarbeitung sind noch komplexe Fragen offen und Standards zu entwickeln.“ Es gebe bereits einen roten Faden, und „es gelingt ein immer besserer, vertrauensvoller Kontakt mit betroffenen Menschen“, sagt Seiler.

Die Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAK), die im Frühjahr 2025 deutschlandweit starten sollen, eröffnen laut Seiler den Weg zu unabhängiger Aufarbeitung sowie den Zugang für Betroffene, was die Partizipation sichere. „Große Aufgabe bleiben die rechtlichen und finanziellen Fragen von Aufarbeitung und Anerkennung, die auf EKD-Ebene geklärt werden, da hier Einheitlichkeit für alle Landeskirchen wünschenswert ist.“

Die ForuM-Studie habe dafür gesorgt, dass innerkirchlich viel über den Umgang mit Nähe und Distanz diskutiert wird, sagt Seiler. Aus Präventionssicht sei es gut, dass die Studie viele Menschen in der Kirche irritiert hat: „Wer irritiert ist, muss Selbstverständlichkeiten hinterfragen und mit neuem Blick auf Dinge schauen – schon das ist ein Teil des Kulturwandels.“ Dieser sei in der Schutzkonzeptarbeit bereits zu sehen, sagt Seiler.

„Wer anerkennt, dass sexualisierte Gewalt in der Kirche vorkommen kann, wird zukünftig anders auf unklare Situationen schauen“, betont Seiler. Das bedeute in der Prävention mehr Aufmerksamkeit für das Thema, „und weniger Chancen für Täter, Grenzen zu überschreiten“.