Neulich im Freundeskreis, wir spielen das Lied „Mull of Kintyre“. Das stammt aus den 70er Jahren, der Ex-Beatle Paul McCartney hat es geschrieben. Wer die Melodie hört, wird es sofort wiedererkennen, garantiert.
Das Lied ist schlicht gehalten, Typ: Klampfe am Lagerfeuer. Es besingt eine Dorf- und Landschafts–idylle im Südwesten Schottlands. Spätestens, wenn die Dudelsäcke einsetzen, kribbelt es am ganzen Körper: Gänsehaut. Jemand sagte mal: Dieses Lied macht Heimweh nach einem Ort, an dem ich nie zuvor gewesen bin.
Heimweh nach einem Ort, an dem ich nie zuvor gewesen bin – wie soll das gehen?
Heimweh ist eine merkwürdige Angelegenheit. Das Gefühl an sich kennen wir alle. Damals, bei der Klassenfahrt. Das erste Mal von zuhause fort. Später zu Ausbildung, Zivildienst oder Bundeswehr. Meine Eltern, die als Vertriebene ihr ganzes Leben die verlorene Heimat beweinten. So sehr es einen als junger Mensch in die weite Welt hinausziehen mag – wenn die Dinge zu anstrengend werden, zu belastend, zu gefährlich, dann will man nur noch eines: zurück nach Hause. Heim.
Denn Heimat heißt: Hier gehöre ich hin. Hier bin ich geschützt. Geborgen. Mag das Wort „Heimat“ durch den Missbrauch in Nazi-Deutschland auch lange Zeit misstrauisch beäugt worden sein – zumindest im Norden des Landes ist ohnehin „zuhause“ gebräuchlicher als „daheim“ (siehe Seite 12) –, es hat eine viel zu starke Verankerung im Herzen, als dass es jemals aufgegeben werden konnte. Heim. Weh. Das heißt: Ich bin getrennt von einem Ort, zu dem mich mein ganzes Sehnen und Streben hinzieht. Die Bibel liefert mit der Erzählung vom Garten Eden eine fulminante Begründung dieses Instinkts: Adam und Eva, die Archetypen der Menschheit, müssen das Paradies verlassen und dürfen nicht mehr zurückkehren.
Heimat: Das hat mit Orten zu tun. Aber auch mit Menschen und Erinnerungen. Manche finden diesen Ort, das sind die Glücklichen; und sie können eine Zeitlang dort bleiben.
Viele aber finden ihn nie. Und spätestens im Alter, wenn die Kinder das Haus verlassen haben, die Enkel auch; Freunde und Nachbarn nicht mehr da sind, stellt sich die Frage neu: Wo ist MEIN Platz? Wo gehöre ICH hin? Umso mehr, wenn dann noch mal ein Umzug ansteht.
Und da ist sie dann wieder. Die Sehnsucht nach dem Zuhause. Nach dem Daheim. Wo finde ich Ruhe? Wo finde ich Frieden? Wo will ich am Ende meines Weges angekommen sein? Eine Sehnsucht, wie eine Erinnerung an einen Ort, an dem ich noch nie zuvor gewesen bin. Wie bei dem Lied „Mull of Kintyre“.
Die Hoffnung, die in der Bibel festgehalten ist, lautet: Es gibt diesen Ort. Und wir dürfen tatsächlich dorthin zurückkehren. Garten Eden. Paradies. Himmelreich. Welche Namen auch immer die Menschen für diesen Ort finden mögen: Wir sind auf dem Heimweg. Wir kehren zurück. Alles wird gut. Unser Heimweh nach dem Ort, an dem wir nie gewesen sind – oder, wer weiß, an dem wir vor Beginn aller Zeit schon mal waren: Diese Sehnsucht wird sich erfüllen.