Die Kirche und das Dorf. Schon von Weitem sieht man ihren Turm die Dächer überragen. Er ist nicht selten das markanteste Gebäude eines Ortes. Viele Kirchtürme stehen seit Jahrhunderten, behalten ihre alte Form, während sich die Welt um sie herum verändert. Der Kirchturm war oft das erste, was die Soldaten sahen, wenn sie aus dem Krieg heimkehrten. Endlich bin ich wieder dort, wo Frieden ist und die Menschen sind, die mich kennen. Der vertraute Klang der Glocken läutet eine neue Phase des Lebens ein, nach Jahren in der Fremde, traumatisiert, entwurzelt, sehe ich die Heimat wieder.
Es ist vermutlich kein Zufall, wenn bei einer Festrede zum Jubiläum der St.-Pankratius-Kirche in Emsdetten im Münsterland im Jahr 1948 eben dieses Motiv bemüht wurde: „Mochten die Zeiten noch so schwer sein, die Heimatkirche spendete Trost, einte und versöhnte. Jahrhundertelang ragt der Turm zum Himmel empor als stummer und doch lautredender Zeuge vergangener Tage.“
Vom Verwaltungsausdruck zum Sehnsuchtsbegriff
Seit dem 19. Jahrhundert ist das Wort Heimat emotional aufgeladen. Zuvor war es ein reiner Verwaltungsausdruck, der das Wohn- und Bleiberecht näher definierte. Wer kein Heimatrecht besaß, durfte auch nicht heiraten. In seiner Grundbedeutung stand das alte germanische Wort „haima“ für ein „Wohnrecht mit Schlafstelle im Haus“. Erst die Romantiker machten daraus einen Sehnsuchtsbegriff. Mit der Industrialisierung schufen sie eine Gegenwelt zur lebensfeindlichen Umgebung der Großstadt. Im Ruhrgebiet konnte man kaum atmen, in den Dörfern von Tieck und Eichendorff schon.
Je stärker man den Heimatbegriff mit Gefühlen auflud, desto mehr geriet er ins Diffuse. War Heimat nun ein Ort oder mehr eine Idee? Musste man an diesem Ort geboren sein oder konnte er auch woanders liegen? Konnte es nur eine Heimat geben oder waren auch mehrere Heimaten vorstellbar? „Die erste Heimat, in die man geboren wird und wo man aufgewachsen ist, erhält man geschenkt. Die zweite Heimat muss man sich aktiv aneignen“, hat dazu einmal der Schriftsteller und Philosoph Hartmut Sommer gesagt. Er sprach vor allem denen aus dem Herzen, die nicht am Ort ihrer Kindheit blieben. Die in die Ferne gingen und dort mehr oder weniger erfolgreich Wurzeln schlugen.
Heimischwerden in der Fremde ist schwer
Viele Juden waren vor 1933 in Deutschland zu Hause. Sie hatten dem Land im Ersten Weltkrieg gedient, doch plötzlich verwandelte sich ihre Heimat in eine feindliche Umgebung, die sie nicht wiedererkannten. Wer noch konnte, floh und suchte eine neue Heimat. Die meisten Menschen assoziieren Heimat mit Worten wie Vertrautheit und Geborgenheit. Der Ort, an dem die Familie ist. Wo man die Sprache spricht, die einem in die Wiege gelegt wurde. Wo die Leute leben, die einen verstehen.
Das Gegenbild dazu ist die Fremde. Nicht wenige Menschen, die in ein anderes Land auswandern, müssen bitter erfahren, wie schwer es ist, dort heimisch zu werden. Beherrscht man die Sprache nicht, wird Integration fast unmöglich. Um sich wenigstens ein bisschen heimisch zu fühlen, bleiben sie dann unter sich. Viele Gastarbeiter der ersten Generation sind so nie ganz in Deutschland angekommen.
Heimat-Begriff wurde und wird oft politisch missbraucht
Je stärker Weltanschauungen eine Rolle spielten, desto mehr wurde Heimat ein politischer Begriff. In Deutschland war das bis 1933 keineswegs nur nationalistisch zu verstehen: Arbeiter hatten in der sozialdemokratischen und kommunistischen Partei eine politische Heimat, Katholiken in der Zentrumspartei. Vielfach verbrachten sie dort ihre gesamte Freizeit. Diese sozialen Milieus haben sich weitgehend aufgelöst, politische Parteien sind heute keine gesellschaftlich homogenen Gebilde mehr.
Bis heute nicht ausgedient hat freilich die nationalistische Komponente des Begriffs. Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg wurde das Wort Heimat immer mehr auch vaterländisch aufgeladen. Die Nationalsozialisten trieben es auf die Spitze und integrierten den Begriff in ihre „Blut- und-Boden-Ideologie“. Stolz verkündete Hitler 1938 beim Anschluss Österreichs „den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“. Und bis heute versucht die politische Rechte, das Wort Heimat für ihre Zwecke einzusetzen. Der politische Missbrauch hat dem Heimat-Begriff ebenso geschadet wie seine Verkitschung in den 1950er Jahren durch Heimatfilme und Folklore-Veranstaltungen. Nicht wenige der Trachten, die man in Bayern als uraltes Brauchtum hochhielt, waren in Wahrheit Erfindungen des 19. Jahrhunderts.
Heimat ist heute für viele Menschen ein überschaubarer Ort in einer immer komplexeren Welt
Das alles jedoch konnte den Begriff Heimat nicht auslöschen. „85 bis 90 Prozent verbinden damit etwas Positives“, sagt etwa die Literaturwissenschaftlerin Susanne Scharnowski, die das Buch „Heimat. Die Geschichte eines Missverständnisses“ geschrieben hat. Darin plädiert sie für die Rehabilitierung eines Begriffes, der für sie zu Unrecht verteufelt wurde. Man müsse ihn eben mit zeitgemäßen Inhalten aufladen statt ihn der politischen Rechten zu überlassen. Gerade in Zeiten der Globalisierung habe der Begriff Heimat eine neue Bedeutung. Er stehe für einen überschaubaren Ort, der Orientierung gebe in einer immer komplexeren Welt.
Für viele Christen freilich hat der Begriff Heimat auch noch eine andere Dimension: So wichtig die Heimat auf Erden auch sein mag, die letztendliche Heimat der Menschen liegt am Ende im Himmel.