Lange erschienen aus europäischer Sicht die USA als “Land der unbegrenzten Möglichkeiten” und Musterbeispiel der Demokratie. Die ZDF-Reportagereihe “USA extrem” zeichnet ein deutlich anderes Bild.
Wenn Paris Hilton öffentlich auftritt, kann sie mit medialer Aufmerksamkeit rechnen. An diesem Tag im Mai 2022 wirbt sie jedoch nicht für Mode, Parfüm oder ein neues Album. Sie stößt vielmehr zu einer Protestkundgebung vor dem Kapitol in Washington. Die Gruppe zeigt handgemalte Schilder mit Sätzen wie “Ich brauchte Hilfe! Ich wurde missbraucht.” Oder: “Was ich brauchte, war Unterstützung. Was ich bekam, war Isolation.” Ein Plakat am Rednerpult formuliert das Ziel der Versammelten: “Stoppt den institutionalisierten Kindesmissbrauch.”
Die Nichtregierungsorganisation Unsilenced hat einen Kasten von der Größe einer deutschen Telefonzelle aufgebaut. Paris Hilton lässt sich darin einsperren, es kostet sie sichtlich Überwindung. Denn sie hat dergleichen schon erlebt, als Sechzehnjährige, im Internat Provo Canyon School in Utah. Heute weiß man, dass hier Kinder sexueller Gewalt, Demütigungen und Schikanen ausgesetzt waren, zwangsweise Drogen verabreicht bekamen, mit Essensentzug und Isolation bestraft wurden.
Paris Hilton ist nicht die Einzige, die die Provo Canyon School anprangert. Es gab behördliche Verfahren, doch ohne nennenswerte Folgen. Das Internat gehört dem US-Konzern Universal Health Services, der mehrfach wegen unlauterer Praktiken in die Schlagzeilen geriet. Das Unternehmen betreibt Krankenhäuser und “Umerziehungsinternate”. Um die 8.000 dieser fragwürdigen Institutionen gibt es in den USA, privatisierte Einrichtungen, die gewinnorientiert arbeiten.
Die Macher des Films “Höllencamps für Teenager” aus der Reihe “USA extrem” konnten ein solches Internat besuchen. Die White River Academy in Delta im Bundesstaat Utah verspricht den Eltern von Heranwachsenden Abhilfe bei Verhaltensauffälligkeiten. Auch solchen, die eigentlich eindeutig fachärztlicher Betreuung bedürfen – etwa wegen Depressionen, Ängsten, ADHS, Autismus, Legasthenie oder Sucht.
Von einer “Pädagogik” akademischer Qualität kann in diesem “therapeutischen Internat”, so die Eigendefinition, nicht die Rede sein. Zur Begrüßung des Filmteams wird einem Neuankömmling der Schädel rasiert. Die Fenster sind verdunkelt, in allen Zimmern hängen Kameras. Nur auf der Toilette und in der Dusche nicht, stattdessen ist hier vorgeschrieben, wie viel Zeit dort verbracht werden darf: maximal drei Minuten fürs WC, fünf Minuten für die Dusche. Es gibt reichlich Medikamente; heimlich gefilmte Aufnahmen zeigen Schüler, die halb bewusstlos auf ihren Stühlen hängen.
Der Schulleiter räumt freimütig ein, man könne mit solchen Internaten “gutes Geld” verdienen. Nach Angaben der Filmautoren beläuft sich der Umsatz der Branche allein in den USA auf 70 Milliarden Dollar im Jahr.
“Höllencamps für Teenager” ist der eindringlichste und erschütterndste Beitrag der drei neuen Filme aus der Reihe “USA extrem”. Die Macher haben sich intensiv in ihr Thema eingearbeitet, begleiten etwa eine Frau, die als Dreizehnjährige vergewaltigt wurde, weitere traumatische Erfahrungen machen musste und sich bis heute nicht wieder in die Gesellschaft eingliedern konnte.
Die anderen beiden Beiträge “Rednecks – Trumps Fans vom Land” und “Freiheit und Lifestyle in XXL” liefern weitere US-Momentaufnahmen, die ebenfalls Erstaunen und nicht selten auch Verstörung wecken.
Erschreckend ist zum Beispiel, wie die US-Waffenlobby die zwölfjährige Autumn Fry für Pistolen, Revolver und Gewehre werben lässt. Autumn hat noch Probleme mit dem kleinen “f” im Alphabet, mit den Maschinengewehren der Deutschen Wehrmacht aber kennt sie sich schon aus. Ihr Vater unterrichtet sie zu Hause. So werde sie nicht “indoktriniert”, sagt er. Nach dem Unterricht fahren die beiden zum Schießstand, um eines ihrer täglich in den Sozialen Medien veröffentlichten Videos aufzunehmen.
Der evangelikale Prediger Ken Peters von der “Patriot Church” erklärt derweil im Gottesdienst: “Jesus machte eine Waffe. Deshalb glauben wir an den zweiten Zusatzartikel der Verfassung.” Eine seltsame Auslegung der Bibel, die für das garantierte Recht aufs Waffentragen und eine rechtspopulistische Agenda missbraucht wird. Ken Peters war im Januar 2021 einer der Wortführer beim Sturm aufs Kapitol.
Beim Besuch der Redneck-Staaten im Süden der USA treffen die Filmemacher neben Waffenfanatikern auf PS-Protze, einen Oben-Ohne-Korso, Alkohol- und Drogenkranke. Auf Männer und Frauen, die das pubertäre Stadium nicht hinter sich gelassen haben. Die um die Wette Würstchen essen oder Maiskolben abnagen. Die ihre Autos so manipulieren, dass sie kräftige schwarze Abgase ausstoßen und die den mörderischen Dreck lachend einatmen.
Der Film zeigt: Man kann fanatischer Trump-Anhänger mit Law-and-Order-Haltung sein – und dennoch betrunken Auto fahren, Joints rauchen oder ohne Baugenehmigung weitläufige Residenzen errichten. Gott zu preisen und zur Gewalt aufzurufen ist für diese Leute kein Widerspruch und der Klimawandel natürlich eine Erfindung der Medien. Fatalerweise wird die nächste Generation direkt in diese Engstirnigkeit hinein erzogen.
Beide Filme reihen krasse, groteske, finstere Episoden zu bunten Bilderbögen, gehen dabei aber leider weniger in die Tiefe. Was aber alle frei Filme zeigen: Es fehlt – insbesondere in den Südstaaten, dem Bible Belt – an Beratungsstellen, an Hilfsangeboten, an Therapieplätzen. Und genau hier setzt die neue Trump-Regierung nochmals den Rotstift an, schließt ganze Abteilungen, entlässt deren Mitarbeiter. Für Trumps Anhänger ist das kein Problem. Sie führen häufig das Wort Freiheit im Munde und sehen diese massiv bedroht. Er brauche sein Waffenarsenal, um seine Familie zu schützen, wenn “sie” kommen, sagt einer der Protagonisten. Die Filmemacher versäumen dabei nur leider zu fragen, wer mit “sie” eigentlich gemeint ist.