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Scheitern hat einen guten Ruf – und das ist nicht unproblematisch

Ein Comeback nach Rückschlägen: Das klingt gut. Doch oft werde das Scheitern überhöht, mahnt eine Wissenschaftlerin. Sie erklärt, warum echte Niederlagen mehr verdienen als Optimismus-Floskeln.

Bevor Thomas Edison 1880 die Glühbirne patentieren ließ, war er an ihrer Entwicklung immer wieder gescheitert. Steve Jobs verließ Apple 1985, um das Unternehmen zehn Jahre später neu aufzustellen. Joanne K. Rowling erfand den wohl bekanntesten Zauberschüler der modernen Literatur als alleinerziehende Mutter ohne Job.

Geschichten wie diese lesen sich ermutigend, als Erfolge gegen jede Wahrscheinlichkeit. Im Nachhinein jedenfalls. Diese Perspektive ist aus Sicht der Literaturwissenschaftlerin Nora Weinelt entscheidend. Ihr Buch “Versagen” ist kürzlich erschienen – und wirft ein neues Licht auf das verbreitete Konzept des “schöner Scheiterns”.

Denn Scheitern, erklärt Weinelt, habe lange Zeit als etwas Endgültiges und Unwiederholbares gegolten. Etymologisch stammt der Begriff von “In-Scheite-Gehen”, was sich auf zersplitternde Schiffe bezog. “Schiffbruch erleiden”, das sagt man auch heute noch über Misserfolge – doch an die existenzielle Dimension denkt wohl kaum noch jemand.

Dagegen ist das “Growth Mindset” allgegenwärtig. Ziele zu reflektieren, ermögliche persönliches Wachstum, sagte etwa die Psychologin Alexandra M. Freund kürzlich der Zeitschrift “Psychologie Heute”. Wer erkenne, dass nicht er selbst gescheitert sei, sondern dass ein Ziel unerreichbar war, könne sich ein neues Ziel stecken, “das meinen Möglichkeiten besser entspricht”. Endgültig Gescheitertes – etwa eine kaputte Ehe – werde kaum jemand unmittelbar als neue Chance begreifen. Doch mit der Zeit könne man sich durchaus fragen, welche Lernmöglichkeit darin liege.

Für den Einzelnen sei diese Sichtweise hilfreich, sagt Weinelt – anstatt sich Vorwürfe zu machen und im Frust zu versinken. Eine Aussage wie “ich orientiere mich neu” klingt hoffnungsvoll, vielleicht beschönigend, aber jedenfalls nicht so vernichtend wie: “Ich bin so ein Versager”. Bezeichnenderweise finde sich diese Formulierung meist als Selbstzuschreibung, sagt Weinelt. Allerdings falle es vielen Menschen so oder so schwer, entsprechende Schlüsse zu ziehen – wenn sich eindeutige Fehler überhaupt klar erkennen ließen.

Als problematisch betrachtet die Autorin indes den gesellschaftlichen Umgang mit dem Scheitern. So sei es auch eine soziale Frage, ob ein Neuanfang überhaupt möglich sei. “Wenn man einmal richtig gescheitert ist, muss man es sich leisten können, einen neuen Versuch zu starten.” Und: Dass Menschen bei sogenannten FuckUp-Nights rückblickend über ihre eigenen Misserfolge schmunzeln, helfe jenen wenig, die sich danach nicht wieder aufrappeln konnten.

Weinelt sieht heute “selbst im Scheitern einen Gelingensdruck” – andere sprechen von toxischer Positivität. “Man darf zwar scheitern – aber bitteschön richtig”, erklärt sie. Vorausgesetzt werde dabei, dass man für das Scheitern selbst verantwortlich sei, es also auch aktiv besser machen könne. Das klinge tröstlich, sei aber eine grobe Vereinfachung, kritisiert die Wissenschaftlerin.

Wie also umgehen mit krisenhaften Momenten, mit Fehlern oder Missgeschicken? Weinelt rät zu einer größeren Toleranz dafür, dass das Scheitern – oder auch das Gelingen – von Vorhaben nicht allein in der eigenen Hand liege. Die “Erfindung des Versagens” sieht sie auch als Merkmal einer westlichen, kapitalistischen und säkularisierten Welt: “Das Menschenbild in religiösen Gesellschaften ging vielmehr davon aus, dass Gott keine Versager schafft, keine Mängelexemplare oder defizitären Menschen. Man konnte auf den falschen Weg geraten, aber nicht an sich ungenügend sein.”

Nun gehe es nicht darum, sich in das eigene Scheitern zu verkriechen, betont die Expertin – sondern vielmehr darum, Scheitern anzuerkennen und einer “Produktivmachungslogik” zu entziehen. “Selbst da, wo es nicht mehr weitergeht, tun wir so, als müsste doch etwas Gutes daraus resultieren, ein neuer Versuch oder ein Lerneffekt.” Ein Scheitern auch einmal stehen zu lassen – das könnte laut Weinelt zu einem gesünderen Umgang miteinander und mit sich selbst führen.