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Rotterdam hat ein neues Migrationsmuseum – Aufbruch und Abschied

Die Niederlande sind um einen Kulturort reicher: Am Freitag eröffnet in Rotterdam das weltweit erste Migrations-Kunstmuseum – in einem außergewöhnlichen Bau. Es kann auch symbolisch für die Hafenstadt stehen.

Ein silberner Hartschalenkoffer mit Rollen, eine verwitterte Holztruhe, ein kleiner Koffer mit bunten Aufklebern aus aller Welt – im “Kofferlabyrinth” stapeln sich mehr als 2.000 Gepäckstücke. Der älteste stammt aus dem 19. Jahrhundert, der jüngste war noch bis vor Kurzem in Gebrauch. Die Installation atmet Geschichte(n). Denn in jedem Koffer stecken Aufbruch, Abschied, Hoffnung.

Das Kofferlabyrinth ist Teil eines neuen Kunstmuseums im niederländischen Rotterdam. Fenix heißt das nach eigenen Angaben erste Kunstmuseum weltweit, das sich ausschließlich dem Thema Migration widmet. Gelegen im alten Hafenviertel, in dem Massen an Menschen ankamen und loszogen. In einer Stadt, für die das Kommen und Gehen bis heute Kern ihrer Identität ist. Menschen aus mehr als 170 Nationen leben heute in Rotterdam.

Untergebracht ist Fenix in einem restaurierten, monumentalen Lagerhaus – früher Umschlagplatz für Waren aus aller Welt. Der chinesische Architekt Ma Yansong sorgte für das größte Kunstwerk von Fenix: “Tornado”, eine doppelt gewendelte Treppe im Herzen des Gebäudes. Die Treppe verbindet das Innere mit einem Panoramadach. Der Blick fällt über die Maas auf moderne Hochhäuser und das historische “Hotel New York”. Es war der ehemalige Hauptsitz der Holland America Line. Millionen von Menschen emigrierten von dort, zum Beispiel in die Vereinigten Staaten. Zugleich kamen Männer und Frauen übers Meer nach Rotterdam.

Auch die Objekte, die Fenix in lichtdurchfluteten, offenen Räumen ausstellt, kommen aus der ganzen Welt und aus vielen Epochen. Die Macher des Museums wollen nach eigenen Angaben zeigen, dass Migration zeitlos und universell ist. Ob aus der Notwendigkeit heraus, erzwungen oder aus freiem Willen – schon immer gab es Migration. Sie finde in jeder Familiengeschichte statt, heißt es in der Ausstellung. Einzelne Geschichten erzählten gemeinsam dann Menschheitsgeschichte, erläutert Museumsdirektorin Anne Kremers. Nicht um Zahlen oder Politik soll es in Fenix gehen, sondern um Menschen in Bewegung.

Eine der beiden Ausstellungen, “Alle Richtungen”, zeigt Kunstwerke und Objekte anhand von sechs Aspekten, zum Beispiel “Heimat” und “Identität”. Im Bereich “Grenzen” etwa rezitieren in einer Videoinstallation marokkanische Zuwanderer in Spanien die dortigen Einwanderungsgesetze. Der südafrikanisch-simbabwische Künstler Dan Halter gestaltete eine Weltkarte aus karierten Plastiktaschen. In vielen Ländern der Welt werden sie von Migrantinnen und Migranten genutzt, um ihr Hab und Gut zu verstauen. Auch ein Stück Berliner Mauer findet sich im Grenz-Bereich.

Für den Aspekt “Flucht” steht auch ein Lampedusa-Flüchtlingsboot. Daneben ein Bild eines syrischen Künstlers, der Weltpolitiker als Flüchtlinge darstellt, sozusagen alle in einem Boot, einem klapprigen Holzkahn.

Eindringlich wirkt eine Installation, bei der ein Tor regelmäßig mit Wucht gegen eine Wand knallt. Die Wand trägt Spuren davon, mit jedem Schlag etwas mehr. Die indische Künstlerin Shilpa Gupta zeigt damit, dass Zäune ein wiederkehrender Schlag für diejenigen auf der falschen Seite einer Grenze seien. Zugleich macht sie darauf aufmerksam, dass jede Wand auf Dauer auch zerstörbar sei. So heißt es im Bereich “Glück”: “Wir alle verfolgen das Glück. Aber nicht alle von uns haben die gleichen Gelegenheiten.”

Auch einer der größten Söhne der Stadt, der wahrlich bewegte Renaissance-Humanist Erasmus von Rotterdam, fehlt nicht in der Ausstellung. Wie auch eine Darstellung des berühmten niederländischen Künstlers Rembrandt, die die biblische Flucht aus Ägypten zeigt. Fußfesseln bringen das Thema Sklaverei in die Ausstellung. Moderne Kunstwerke wurden für das Museum in Auftrag gegeben.

Finanziert wird das Großprojekt von der Stiftung “Droom en Daad”, die vor nicht einmal zehn Jahren gegründet wurde und mehrere Kulturprojekte in Rotterdam stützt. Fenix ist Bestandteil der Umgestaltung des Viertels Katendrecht, früher einmal Rotlichtviertel und Chinatown. Im Erdgeschoss des Museums ist ein großer überdachter Stadtplatz – für alle Rotterdamer kostenlos und offen für jegliche Aktivitäten: vom Salsa-Kurs bis zum Sprachunterricht, aber auch für Großveranstaltungen.

Die zweite große Ausstellung des Museums zeigt Fotografien aus 55 Ländern und von 1905 bis heute. Zum einzelnen Bild liefert sie diese Angaben aber nicht, sondern platziert die starken Bilder so im Raum, dass die Orte und die Emotionen in den Bildern auf den Besucher geradezu überspringen: Winken am Dampfschiff, Küsse, Tränen, riskante Transportmittel, zerstörte Heimat, Zäune, Warten am Flughafen, Flüchtlingscamps, Grenzkontrollen – Verzweiflung, Freude, Hoffnung, Sehnsucht.