Verkürzt wird er zumeist als erster Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung bezeichnet. Aber er ist mehr als das: Felix Klein ist auch Beauftragter für jüdisches Leben. Neben seinem Einsatz gegen den Antisemitismus – zum Beispiel durch eine bundesweite Erfassung antisemitischer Vorfälle – soll der 1968 in Darmstadt geborene Diplomat auch Ansprechpartner für jüdische Organisationen und für Initiativen sein, die jüdisches Leben in Deutschland zur besseren Entfaltung bringen. Bei der Aufklärung über Antisemitismus will Klein die Kirchen verstärkt einbinden. Deren historische Verantwortung gegenüber der jüdischen Gemeinschaft sei groß, sagte er im Interview mit Anna Mertens in Berlin.
Herr Klein, wie kamen Sie zu dem Amt?
Ich habe mich im Auswärtigen Amt mehr als vier Jahre nahezu ausschließlich mit Antisemi-tismusbekämpfung und Holocaust-Erinnerung befasst und habe viele Kontakte geknüpft, unter anderem zum Zentralrat der Juden in Deutschland. Das Außenamt hat seit über zwölf Jahren eine solche Stelle.
Haben Sie auch eine persönliche Nähe zu dem Thema?
Aus meiner Schulzeit in Italien und Deutschland habe ich jüdische Freunde, und mit 18 Jahren war ich erstmals über ein Orchesterprojekt – ich spiele Geige – in Israel. Die Faszination für die jüdi-sche Kultur ist geblieben. Ich war aber nie als Diplomat in Tel Aviv tätig und spreche auch kein Heb-räisch.
Sie sind der erste Amtsinhaber. Welche Aufgaben erwarten Sie?
Die Beschreibung im Bundestagsbeschluss vom Januar ist sehr detailliert. Ich soll etwa einen Expertenkreis aufbauen und denke dabei an vier bis fünf Experten. Darüber hinaus soll ich die Empfehlungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus umsetzen. Ich möchte grundsätzlich alle Akteure besser vernetzen. Antisemitismus ist allgegenwärtig und ein gesamtgesellschaftliches Problem. Zugleich gehört die jüdische Kultur seit Jahrhunderten zu unserem Land.
Das sind viele Baustellen. Wie setzen Sie Prioritäten?
Antisemitismus ist – ob von links, rechts oder muslimisch – immer gefährlich. Zunächst möchte ich daher herausfinden, wo Antisemitismus in welcher Form auftritt. Ich plane bis Jahresende ein bundesweites System zur einheitlichen Erfassung antisemitischer Vorfälle, ähnlich der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus RIAS. Es soll eine zivilgesellschaftliche Organisation – ein Bundesverband – sein, die mit Polizei und jüdischen Gemeinden zusammenarbeitet.
Besteht dabei nicht die Gefahr von Parallelstrukturen, etwa zur polizeilichen Kriminalstatistik?
Wir brauchen unterschiedliche Statistiken. Wir müssen uns aber die Kriminalstatistik noch einmal anschauen. Derzeit sind rund 90 Prozent der Straftaten politisch rechts motiviert. Das sollten wir überprüfen.
Der Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus hat 2017 ein fehlendes Gesamtkonzept gegen Antisemitismus beklagt. Kann es so etwas geben?
Antisemitismus hat ungemein viele Facetten, aber ich denke, dass wir Konzepte und Handreichungen im Umgang mit Formen des Antisemitismus entwickeln können, etwa im Bildungsbereich.
Der Bericht enthielt auch eine Befragung von 18 Imamen, die keine radikalen antisemitischen Stereotype ergab. Trotzdem wird derzeit vor allem über muslimischen Antisemitismus gesprochen. Passiert das zu Recht oder ist die Debatte übertrieben?
Sie ist insofern übertrieben, da sie vor allem von Nicht-Muslimen geführt wird. Muslime sind nicht geborene Antisemiten, und wir müssen jede Vorverurteilung und Hetze unterbinden. Aber wir sollten mit Imamen und Moscheegemeinden zusammenarbeiten, um in der muslimischen Gemein-schaft über Antisemitismus aufzuklären. Ich will das vor allem im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz vorantreiben.
Sollten sich auch die Kirchen stärker einbringen?
Die Kirchen haben – auch historisch gesehen, man denke an Martin Luther oder die NS-Zeit – eine ganz besondere Verantwortung. Führende Kirchenvertreter melden sich bereits zu Wort, aber das Thema sollte noch prominenter, systematischer und vor allem präventiv von beiden Kirchen behandelt werden.
Wollen Sie auch mit dem Beauftragten für Religionsfreiheit und mit der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung zusammenarbeiten?
Mit beiden. Gerade mit Markus Grübel, dem Religionsfreiheitsbeauftragten, möchte ich über die Entwicklungszusammenarbeit, er sitzt ja im BMZ, das Thema Antisemitismus stärker thematisieren. Ich stelle mir vor, dass wir in unseren Regierungsabkommen, Projektverträgen und Arbeitsverträgen mit Ortskräften einen Passus zu Antisemitismus einführen und sich alle dem Einsatz gegen Antisemitismus verpflichten.
Hätten Sie ein Andocken ans Parlament bevorzugt, um unabhängiger handeln zu können?
Nein. Als Regierungsbeauftragter kann ich konkrete Projekte umsetzen, und die Zusammenarbeit mit den anderen Ministerien ist viel einfacher.
Suchen Sie den Kontakt mit dem Parlament?
Natürlich. Das Parlament ist ein ganz wichtiger Akteur, und es gibt viele engagierte Parlamentarier in diesem Bereich. Ich möchte aber parteipolitische Erwägungen hinten anstellen.
Wie sieht es mit der AfD aus?
Ich würde auch mit der AfD sprechen. Die Partei ist nicht per se antisemitisch, aber sie duldet antisemitische Äußerungen in ihren Reihen. Das ist sehr bedenklich.
Fühlen Sie sich auch für das Themenfeld Antiziganismus zuständig?
Mein Mandat bezieht sich auf jüdische Fragen, aber da ich im Außenamt auch für Antiziganismus zuständig war, denke ich es weiter mit und werde etwa dem geplanten Expertenkreis Antiziganismus meine Zusammenarbeit anbieten. Über den Holocaust an den Sinti und Roma ist noch viel weniger bekannt als über die Schoah. Hier sollte auch die katholische Kirche noch mehr tun. Es waren ihre Glaubensbrüder, die vernichtet wurden.
Immer wieder wird debattiert, ob und ab wann Kritik am Staat Israel Antisemitismus ist. Wo ist Ihrer Meinung nach die Grenze?
Es gibt eine internationale Antisemitismus-Definition, welche die Bundesregierung vergange-nes Jahr angenommen hat. Den Umgang der Israelis mit den Palästinensern mit der Schoah zu vergleichen oder den Holocaust zu leugnen, ist eindeutig antisemitisch. Natürlich müssen wir aber auch Handlungen der israelischen Regierung kritisieren dürfen, etwa deren Siedlungspolitik und die übermäßige Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen.
Was heißt das konkret?
Bei jeder Kritik an Israel sollte man das Wort „Israel“ durch einen anderen Ländernamen ersetzen können. Leider werden allzu oft an Israel andere Maßstäbe angelegt, etwa beim Recht auf Selbstverteidigung.
Wie bewerten Sie den Aufruf auch kirchlicher Organisationen, wegen des Israel-Palästina-Konflikts israelische Produkte zu boykottieren?
Das ist antisemitisch und erinnert an den Aufruf der Nazis, nicht bei Juden einzukaufen. Da wird eindeutig eine rote Linie überschritten.
Die Bundesregierung befürwortet eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt. Diese scheint mit der Verlegung der US-amerikanischen Botschaft nach Jerusalem in weite Ferne gerückt. Wie könnte Frieden einkehren?
Die Amerikaner sollten auch auf die Palästinenser zugehen. Immerhin ist die Botschaft nach West- und nicht nach Ost-Jerusalem in den palästinensischen Teil verlegt worden. Darüber hinaus sollten die Amerikaner auf Israel einwirken und sich für eine Friedenslösung einsetzen.