ROM – Am Ende stand eine Serie von Paukenschlägen – und eine große Erschöpfung. Mit für die katholische Kirche atemberaubender Geschwindigkeit hatten die „Konzilsväter“ im „heißen Herbst“ 1965 gewichtige Beschlüsse gefasst. Ihre Neuorientierungen sollten das Gesicht der katholischen Kirche verändern – und die Fenster zur Welt aufstoßen, so wie es der bald nach der Eröffnung verstorbene Papst Johannes XXIII. gewünscht hatte. Vor 50 Jahren, am 8. Dezember 1965, endete das Zweite Vatikanische Konzil.
Die große Schlussfeier auf dem sonnigen Petersplatz machte auf den nüchternen Kölner Kardinal Josef Frings einen „sehr theatralischen“ Eindruck. Und auch sein junger theologischer Berater Joseph Ratzinger fand die katholische Großkundgebung „ein wenig überladen und äußerlich“. Ganz anders am Vortag, so schreibt der heute emeritierte Papst Benedikt XVI. in seinen Konzilserinnerungen von 1966 nieder, als in der letzten Arbeitssitzung „der Atem der Geschichte wie kaum je zuvor zu spüren war“: Papst Paul VI. und der Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras, waren übereingekommen, den gegenseitigen Bannfluch, den die Gesandten ihrer Vorgänger gegeneinander ausgesprochen hatten, in einer gemeinsamen Erklärung aufzuheben.
Verkündigung nach Erfordernissen der Zeit
Diese Geste des 7. Dezember 1965, flankiert von der Verabschiedung mehrerer zentraler Konzilsdokumente, war ein würdiger Abschluss jenes von Johannes XXIII. geforderten „aggiornamento“, der „Aktualisierung“ der kirchlichen Verkündigung nach den Erfordernissen der Zeit. Aus der Wagenburg, in der sich Kirche und Papsttum seit der Französischen Revolution in einseitig negativen Verurteilungen gegen die Welt draußen verschanzt hatten, fanden die 2500 Konzilsväter durch Tausende Seiten Akten, Entwürfe und Änderungsanträge tastend und allmählich den Weg zurück zu den Problemen der Menschen in der Moderne.
Eine solche Neuausrichtung ging freilich nicht ohne innere Widerstände ab. Schon bald nach der Ankündigung des Konzils entspann sich hinter den Kulissen ein heftiges Ringen zwischen den „Bewahrern“ und den „Progressiven“. Dass die Reformbestrebungen nicht vornehmlich von der kirchenpolitischen „Linken“ vorangetrieben wurden, sondern tatsächlich aus dem Denken der Konzilsmehrheit entsprangen, belegt nicht zuletzt der Bauernsohn Johannes XXIII. selbst, dessen theologisch tief konservative Gesinnung niemand ernsthaft in Zweifel ziehen kann.
Das erste Konzil seit fast einem Jahrhundert verabschiedete 16 Grundsatzdokumente, aber kein Dogma. Es war ein Reform-, kein Lehrkonzil, und es führte zu tiefgreifenden Veränderungen, etwa zu einer liturgischen Erneuerung zu Lasten der lateinischen Sprache. Die Konzilsväter stärkten das Selbstbewusstsein der Ortsbischöfe gegenüber Rom, aber auch der Laien gegenüber den Bischöfen. Weltkirche wurde ganz neu bewusst, und Rom vollzog eine ökumenische Öffnung, die bis dahin ohne Vorbild war.
So heißt es etwa in dem Dekret „Unitatis redintegratio“ von 1964 zu den „Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften im Abendland“: „Obgleich die ökumenische Bewegung und der Wunsch nach Frieden mit der katholischen Kirche sich noch nicht überall durchgesetzt hat, so hegen wir doch die Hoffnung, daß bei allen ökumenischer Sinn und gegenseitige Achtung allmählich wachsen.“
Beginn der Aussöhnung mit dem Judentum
Mit der Erklärung „Nostra aetate“ von 1965 und ihrer klaren Absage an den traditionellen Antijudaismus beginnt auch eine Aussöhnung der katholischen Kirche mit dem Judentum. Das Dokument betont das Verbindende mit den anderen Religionen, ohne allerdings den eigenen Wahrheitsanspruch zu schmälern. Die katholische Kirche, so heißt es, lehne nichts von dem ab, was in den Religionen „wahr und heilig“ sei. Christen, Juden und Muslime werden ermuntert, gegenseitig Missverständnisse im Dialog auszuräumen.
Trotz weitreichender Beschlüsse: Die teils scharfen Auseinandersetzungen zwischen den „Bewahrern“ und den „Progressiven“ in der katholischen Kirche hielten bis zum letzten Tag des Konzils an – und setzen sich bis in Pfarreien hinein fort. Beide Strömungen berufen sich auf den „Geist des Konzils“ – eine Folge auch der Not der Konzilsväter, Kompromisse schließen zu müssen.
Der Euphorie des Konzils folgte ein Aufbruch, aber auch Verunsicherung. Manche Experimentierfreude in Gottesdiensten und Kircheneinrichtungen trieb Katholiken in die Arme von Traditionalisten, etwa der „Priesterbruderschaft Pius X.“. Die „Revolution der 1968er“ bekräftigte sie in der Meinung, die Kirche habe sich zu sehr dem Zeitgeist angedient.
Eine These übrigens, die viele Kommentatoren auch als Interpretationsmuster für das Entgegenkommen von Papst Benedikt XVI. an die Piusbrüder bemühen: Der junge, aufbruchbereite Konzilstheologe Ratzinger habe, verschreckt von den Auswüchsen der neuen kirchlichen Freiheit und den Studentenrevolten, später der „Welt“ den Rücken gekehrt und sich der Verteidigung der Tradition zugewandt. Wohlmeinendere betonen dagegen, Benedikt XVI. stehe fest zum Konzil – allerdings nicht immer zu der liberalen Konzilsinterpretation in der westlichen Welt.
Manche halten heute ein Drittes Vatikanum für notwendig. Doch es war der wichtigste Konzilshistoriker des 20. Jahrhunderts, Hubert Jedin (1900-1980), der als Essenz seiner Forschungen festhielt: Jedes Konzil hat mindestens ein halbes Jahrhundert bis zu seiner Umsetzung warten müssen. Das wäre nun.