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“Polizeiruf” über eine Ermittlerin “jenseits des Rechts”

Lucky ist tot: Der Produzent von Amateurpornos wurde nachts in seinem Wohnwagen ermordet. Cris Blohm und Dennis Eden ermitteln im familiären Umfeld von dessen letzter Freundin. Grandioser München-Krimi von Dominik Graf.

Es gibt Fernsehfilme. Und es gibt Dominik-Graf-Filme. Die bilden, ganz klar, eine eigene qualitative Kategorie. Wie sein neuestes Werk, ein Münchner “Polizeiruf”, wieder mal aufs Eindrücklichste unter Beweis stellt. “Jenseits des Rechts”, den Das Erste am 29. Dezember von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, erzählt eine Geschichte, die von der ersten bis zur letzten Einstellung in ihren Bann zieht, einen am Ende wie aufwachen lässt aus einem fesselnden, kuriosen, intensiven, und ja, sogar gelegentlich lustigen Traum.

Denn Graf findet den für seine Story perfekten Erzählrhythmus – und erweist sich einmal mehr als Meister im Kreieren von Atmosphäre. Das Mit- und Ineinander aus Figurenzeichnung, Erzählweise, Kamera, Schnitt, Setting und Musikspur schafft auf Grundlage des starken, facettenreichen Buchs von Filmkritiker und Drehbuchautor Tobias Kniebe einen filmischen Sog, dem man sich nur allzu gerne hingibt. Erzählt wird vom Mord an dem Amateurporno-Produzenten Lukas, genannt “Lucky”.

Schon bald fokussieren sich die Ermittler Cris Blohm (Johanna Wokalek) und Dennis Eden (Stephan Zinner) auf Luckys Freundin Mia Horschalek (Emma Louise Preisendanz) beziehungsweise deren familiäres Umfeld. Denn die labile junge Frau, die mit ihrem Freund selbst Pornos drehte und im World Wide Web veröffentlichte, ist sozusagen das schwarze Schaf einer vermögenden Münchner Familie.

Daran vermochten auch ihre jahrelangen Besuche beim engagierten Psychotherapeuten Weibel (Michael Roll) wenig zu ändern. Klar, dass Mias Vater (Martin Rapold), Geschäftsführer der aktuell wegen unsauberer Deals angeprangerten Munich Gold AG, kein Interesse daran hat, dass die Porno-Aktivitäten seiner Tochter publik werden. Mias Mutter wiederum ist tot, und ihre Schwester Sasha (Falka Klare) reproduziert als Influencerin gängige “Rich-Kids”-Klischees.

Nach einem Hinweis der Rechtsmedizinerin Franca (Jule Gartzke) fokussiert sich Blohm auf Mias Vater. Und was sie bei dem Versuch, Ralph Horschalek zu überführen, so anstellt, ist eindeutig mehr als nur Rechtsbeugung. Weshalb sie sich innerlich schon mal vorbereitet auf ihre Zukunft als Tresenkraft bei McDonalds…

Überhaupt spielt die juristische Dimension eine zentrale Rolle, insbesondere der rechtsmedizinische Umgang mit Beinahe-Treffern bei DNA-Tests. Also: Was tun mit Ergebnissen, die auf eine Täterschaft im Verwandtenkreis der Getesteten hindeuten, für die aber kein Einverständnis vorliegt? Wie die Ermittler darauf hinweisen, ohne sich selbst strafbar zu machen? Ein für den Normalbürger an sich abseitiges Thema – das aber, wie hier zu sehen, großes Spannungspotenzial birgt.

Der Stellenwert, den die Rechtsmedizin in diesem “Polizeiruf” einnimmt, erinnert an Grafs vorigen Fernsehfilm, “Mein Falke”, in dem es um eine Forensikerin ging. Und noch eine Parallele gibt es: Vögel. Ein Motiv, das sich durch den Film zieht – es wird sich dabei doch nicht um einen albernen Witz rund um das bei Pornos unvermeidliche “Vögeln” handeln? Wie dem auch sei: Dieser Krimi kommt überraschend witzig und trotz schwerer Themen – psychische Labilität, familiäre Abgründe, die verzweifelte Sehnsucht danach, “gesehen” zu werden – mit einer großen Leichtigkeit daher.

Was auch am (Zusammen-)Spiel der nicht nur in komödiantischer Hinsicht begabten Johanna Wokalek und Stephan Zinner liegt: zwei Schauspieler, die wunderbar “matchen” – mindestens so gut wie Zinner und Wokaleks Vorgängerin im Münchner “Polizeiruf”, Verena Altenberger. Und auch sämtliche andere Darsteller überzeugen, allen voran Emma Louise Preisendanz als Mia.

Zur flirrenden, mitreißenden Atmosphäre dieses Films tragen zudem die Fähigkeit von Drehbuch und Regie bei, dem Leben wahrhaftige Alltagsmomente abzulauschen, wie improvisiert wirkende Dialoge und Interaktionen aufs Filmmaterial zu tupfen, Durchlässigkeit zu schaffen. So lässt sich etwa mit Klischees spielen, erscheinen diese frisch und unverbraucht. Ein auch innerhalb seiner eigenen, der Graf-Kategorie, herausragendes Stück Fernsehen.