Brandenburgs früherer Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) führt die Wahlerfolge der AfD in Ostdeutschland auch auf die Folgen der Wende zurück. “Natürlich gibt es in der ostdeutschen Gesellschaft Nachwirkungen, was den totalen Zusammenbruch der 90er und 2000er Jahre angeht”, sagte der 70-Jährige der Berliner “taz” (Dienstag). Eine Gesellschaft, die 1,5 bis 2 Millionen vorwiegend junge Menschen verliere, werde “nicht per se mutiger und zuversichtlicher”.
Aus Sicht von Platzeck hätte die Bundesrepublik anders mit dem nach der Einheit hinzugekommenen Teil umgehen müssen: “Wenn eine kleinere Gesellschaft einen Systemwettbewerb verloren hat, wäre es klug und erfolgversprechend gewesen, sie bei der Vereinigung mit einer größeren Gewinnergesellschaft zumindest auf die Dinge abzuklopfen, die in den 40 Jahren DDR ganz gut funktioniert haben, und die mit in das gemeinsame Deutschland zu nehmen.” Dabei denke er “an die Stellung der Frauen in der Gesellschaft, Ganztagsschulen, Kitas und Polikliniken, die wir heute verschämt nicht mehr Polikliniken nennen, sondern medizinische Versorgungszentren”.
Viele DDR-Erfolgsmodelle
Der westdeutsche Umgang damit habe dazu beigetragen, “dass es heute eine deutlich ausgeprägte ostdeutsche Identität gibt”, so Platzeck weiter. Zudem spiele eine “nicht selten überhebliche Debatte über Ostdeutschland” eine Rolle. Als eine Hauptursache für die geringere Achtung, die demokratische Institutionen im Osten Deutschlands genössen, machte er “die totale Unterrepräsentanz von Ostdeutschen in ebendiesen vielen Institutionen” aus. Spitzenposten in Gerichten, Hochschulen oder Medien seien überall mit Westdeutschen besetzt.
Politik muss Antworten und Lösungen finden
Hinzu komme eine völlig ungleiche Vermögensverteilung: “Ein Großteil der Immobilien, viele Wälder und Äcker und was auch immer gehört mittlerweile Westdeutschen”, sagte Platzeck. Bei Erbschaften und Vermögen stelle der Osten nur einen Bruchteil. Auch, dass Ostdeutsche ihre Abschlüsse meist nachholen mussten, sei eine Abwertung gewesen.
Weitere Gründe für die jüngsten Wahlerfolge von AfD und auch Bündnis Sahra Wagenknecht in Sachsen und Thüringen seien, dass die Politik weder 2015 in der Flüchtlingskrise noch beim russischen Krieg gegen die Ukraine passende Antworten und Lösungen gefunden habe.