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Berliner Pfarrhaus wurde zum Gefängnis der Spionageabwehr

Einst Pfarrhaus, dann Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Spionageabwehr: Die Gedenkstätte Leistikowstraße Potsdam beherbergt heute ein zeitgeschichtliches Museum.

Gedenk-und Begegnungsstätte Leistikowstrase in Potsdam
Gedenk-und Begegnungsstätte Leistikowstrase in PotsdamIMAGO / Jürgen Ritter

Der Weg zur Gedenkstätte Leistikowstraße führt an einem spätsommerlichen Tag per Straßenbahn in ein Potsdamer Villenviertel. Zwischen Pfingstberg und Neuem Garten liegt das ehemalige zentrale Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Militärspionageabwehr. Von 1945 bis 1994 gehörte es zu dem von einer Mauer umgebenen, 16 Hektar großen Sperrgebiet in der Nauener Vorstadt mit Kontrollpunkten und Wachtürmen.

Besucherinnen und Besucher können seit Mai mit ihrem Smartphone auf einem Audiowalk an 13 Stationen der Geschichte dieses Ortes folgen. Oder sie melden sich zu einer Führung an, die auf dem Innenhof der Gedenk-und Begegnungsstätte beginnt.

„Die Recherche ist Detektivarbeit“

Ein Bronzemodell des sogenannten Militärstädtchens Nr. 7 vermittelt einen Überblick über das damalige Gelände. Im nahe gelegenen Schloss Cecilienhof fand ab dem 17. Juli 1945 die Potsdamer Konferenz statt. Die USA, Großbritannien und die Sowjetunion entschieden dort über die „4 Ds“: die Denazifizierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung Deutschlands.

Im ehemaligen Untersuchungsgefängnis in der Leistikowstraße steht das Schicksal der Häftlinge ab 1945 im Fokus der Gedenkstätte. Die Frauen und Männer waren zwischen 14 und 80 Jahren alt. Sie alle wurden nicht rechtsstaatlich verurteilt. Es gab psychische und physische Gewalt; Geständnisse wurden erzwungen.

Keller mit Zellen in der Gedenk-und Begegnungsstätte Leistikowstraße in Potsdam
Keller mit Zellen in der Gedenk-und Begegnungsstätte Leistikowstraße in PotsdamIMAGO / Jürgen Ritter

Die Verurteilten kamen in ein Straf- und Arbeitslager in der Sowjetunion oder wurden mit dem Tode bestraft. Unter den Häftlingen befanden sich NS-Verbrecher, aber auch Jugendliche, die durch eine kritische Haltung zur Besatzungsmacht aufgefallen sein sollen. „Die Recherche ist Detektivarbeit“, sagt Josephine Eckert, die uns an diesem Samstagnachmittag durch das Haus führt. „Es gibt keinen Prototyp eines Häftlings.“

Inschriften von Häftlingen

Von 1955 bis 1989 waren ausschließlich sowjetische Gefangene inhaftiert. Nach 1991 nutzte die russische Armee das Haus als Materiallager. Das Treppengeländer in dem ehemaligen Pfarrhaus, der Schmuckbalken in der ersten Etage oder ein später zugemauerter schwarzer Kachelofen weisen auf den Alltag vor der Beschlagnahmung durch den sowjetischen Geheimdienst hin.

Im Erdgeschoss war ab 1918 die Evangelische Frauenhilfe aktiv; im Obergeschoss lebte die Pfarrfamilie. Aus dem Kinderzimmer wurde nach 1945 ein Zimmer zur Vernehmung. „Wir finden unglaublich viele Spuren aus verschiedenen Zeiten“, sagt Eckert. So etwa Inschriften von Häftlingen im Keller mit seinen bedrückend engen Zellen, die von Leid und Einsamkeit zeugen.

Persönliche Dinge erinnern an gewaltsam gebrochene Lebenswege

Auf einem herzzerreißenden Foto in einer der Vitrinen sitzt Joachim Lange im September 1994, kurz nach der Rückgabe des Areals an die Stadt Potsdam, in einer dieser Kellerzellen auf einem Holzpodest. Lange war als 16-Jähriger wegen des Vorwurfs der Spionage 1947 fünf Monate lang an diesem Ort inhaftiert. Ein eingenähter Rosenkranz im Hosenbund eines 18-Jährigen, braune Strümpfe oder die Wolljacke einer Inhaftierten – viele persönliche Dinge erinnern an gewaltsam gebrochene Lebenswege.

Raum in der Gedenk-und Begegnungsstätte Leistikowstraße in Potsdam
Raum in der Gedenk-und Begegnungsstätte Leistikowstraße in PotsdamIMAGO / Jürgen Ritter

Selbst nach der Haftentlassung aus den sowjetischen Lagern im Jahr 1953 mussten die ehemaligen deutschen Inhaftierten in der DDR über ihr Los schweigen; viele von ihnen wussten damals gar nicht, dass sie in Potsdam inhaftiert waren. Die Dolmetscherin Marlise Steinert kehrte nach sechseinhalb Jahren an Silvester zurück.

„Sie war so voll von Erinnerungen“, sagt ihre Tochter Lore Siebert an einer Hörstation. Steinert, die 1982 starb, schrieb in ihrer neuen Heimat im niedersächsischen Verden ihre Erfahrungen auf. Die Schicksale anderer Häftlinge ebenso wie ihre genaue Zahl bleiben bis heute unbekannt.

Info: Am Samstag, 30. September, 14.30 Uhr, findet die Führung „Die sowjetische Geheimdienststadt ‚Militärstädtchen Nr. 7’“ statt. Tickets: 6 Euro, ermäßigt 3 Euro. Treffpunkt: Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam, Leistikowstraße 1. Tickets online unter: www.leistikowstrasse-sbg.de