Von Hannerose Kittler
Als ich mit Pfarrvikarin Annemarie Grosch in den 1950er Jahren darüber sprach, dass ich darüber nachdenke, Theologie zu studieren, sagte sie: „Lass das!“ Sie war an der noch nicht wieder aufgebauten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche tätig und durfte dort nur die Nebengottesdienste um 8 Uhr und 18 Uhr halten, während die Hauptgottesdienste den Kollegen vorbehalten waren. Dennoch begann ich mein Theologiestudium an der Kirchlichen Hochschule Berlin, wo wir Theologiestudentinnen lange Zeit Exotinnen waren. Während meines Studiums in Göttingen wollten meine Freundin und ich ein dogmatisches Seminar besuchen, doch der Professor sagte uns: „Ich habe schon zwei Studentinnen in meinem Seminar! Bitte kommen Sie nächstes Semester wieder!“ Unter die Hausarbeit einer Kommilitonin schrieb ein Professor: „Sie solle lieber kochen lernen!“Nach meinem Zweiten Examen im Herbst 1961 musste ich ein halbes Jahr auf die Ordination warten, da Bischof Otto Dibelius (1880–1967) zwar die Kandidaten unmittelbar nach dem Examen ordinierte. Wir Frauen aber wurden erst aus zwei Examina gesammelt, ehe uns der Generalsuperintendent Hans-Martin Helbich (1906–1975) im März 1962 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ordinierte. Anschließend hatten wir fünf frisch Ordinierten ihn zum Sektumtrunk zu „Mampe“ eingeladen, doch mussten wir lange auf ihn warten. Schließlich erschien er mit hochrotem Kopf und wir erfuhren später, dass Bischof Dibelius während des Gottesdienstes hinter dem schwarzen Vorhang gesessen und mit „seinem“ General im Anschluss ein ernstes und langes Gespräch wegen dessen zu frauenfreundlicher Ansprache geführt hatte.Im Laufe der folgenden 30 Jahre war ich in drei Berliner Gemeinden tätig. Und obwohl ich stets das gleiche tat, wurde ich jeweils unterschiedlich bezeichnet: Auf meiner ersten Ernennungsurkunde für die Gemeinde „Zum guten Hirten“ in Friedenau, 1962, stand „Pfarrvikarin“. Deswegen wurden wir von Gemeindegliedern auch häufiger gefragt, wann wir denn endlich gedächten, unser Zweites Examen abzulegen und ordiniert zu werden. Bei Gesprächen zu Amtshandlungen dachten die Leute, wir wären Pfarrsekretärinnen. Ein Kollege in der Nachbargemeinde weigerte sich, den Leuten Abmeldescheine auszustellen, wenn sie von mir getraut werden wollten. Im dortigen Schöneberger Pfarrkonvent war ich übrigens die einzige Frau. Auf meiner zweiten Ernennungsurkunde dann, 1970, für die Dorfkirche Lankwitz, stand „Pastorin“. Und 1981 schließlich wurde ich als „Pfarrerin“ in Charlottenburg in der Gustav-Adolf-Gemeinde eingeführt.
Denn seit 1974 waren Frauen und Männer im Pfarramt gleichgestellt und trugen die gleiche Amtsbezeichnung. Nun durften Frauen auch nach der Heirat im Amt bleiben. Als ich 1963 in meine erste Gemeinde gekommen war, erhielt ich die Stelle einer jüngeren Kollegin, die geheiratet und entzückende Zwillinge bekommen hatte. Obwohl die Gemeinde sie gerne behalten hätte, sagte das Konsistorium: „Nein!“ Übrigens hat Otto Dibelius kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt doch noch eine Frauenordination durchgeführt – zur allgemeinen Überraschung! Ich freue mich mit allen Kolleginnen, die all diese Sorgen nicht mehr haben. Ich bin trotz allem gerne in diesem Amt gewesen. Ich habe es nicht bereut, diesen Beruf – diese Berufung – zu ergreifen. Die Gemeinden selbst waren bis auf einzelne Ausnahmen immer aufgeschlossen – oft vielleicht gerade, weil wir Frauen waren. Ja, die Gemeinden brauchen uns!