Die Sonne scheint milde auf die kleine Schar Menschen, die Psalm 143 zitiert: „Errette mich, Herr, vor meinen Feinden; zu dir nehme ich meine Zuflucht.“ Es könnte eine beliebige Andacht an einem warmen Frühlingsabend sein, wenn nicht zwei Polizisten und ein zusätzlich angeheuerter Wachmann für Sicherheit sorgen müssten. Denn die Versammlung der knapp 30 Teilnehmenden findet nicht in einer geschützten Kirche statt, sondern vor der Liberalen Synagoge im Norden Hannovers, und es besteht Furcht vor Anschlägen.
„Wir sind hier, weil wir ein Riesenproblem mit dem Antisemitismus haben“, sagt Pastor Stephan Goldschmidt von der Zachäusgemeinde zum ungewöhnlichen Ort der Andacht. „Darauf wollen wir unsere Gemeinde aufmerksam machen. Wir dürfen uns nicht wegducken, sondern müssen wachsam sein. Wir müssen an der Seite unserer jüdischen Geschwister stehen.“
“Omas gegen Rechts” treffen sich jeden Freitag vor der Synagoge
„Passionspunkte“ heißt die Reihe mit insgesamt fünf Andachten, zu der die Zachäus-Gemeinde gemeinsam mit der Emmaus-Gemeinde einlädt. Sie führt von Woche zu Woche an unterschiedliche Orte im Stadtteil, die wie die Synagoge auf gesellschaftliche, aber auch individuelle Probleme hinweisen. Einmal gehe es um Sucht, ein anderes Mal um den schnellen Wandel in der Arbeitswelt, erzählt Goldschmidt. Die Idee für die Andachtsreihe stamme von einer Gemeinde in Wilhelmshaven.
An jenem Abend erhalten die Gemeinden Unterstützung von den „Omas gegen Rechts“, die seit Monaten jeden Freitag vor der Synagoge in der Fuhsestraße Wache halten. „Wir sind bei Wind und Wetter hier“, sagt Ilse Göckenjan. Die 90-Jährige macht sich Sorgen um die Demokratie. „Wir müssen wachsam sein, damit Antisemitismus und Fremdenhass nicht die Oberhand gewinnen.“
Der “Passionspunkt” ist ein starkes Zeichen der Solidarität
Ihre Solidarität will auch Karin Dunse zum Ausdruck bringen. Die 71-Jährige aus Hannover-Herrenhausen nimmt mit ihrem Cousin an der Andacht teil. „Wir sind alle Menschen. Wir sollten füreinander einstehen.“
Rebekka Seidler von der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover freut sich über die Solidaritätsbekundung. „Das ist ein starkes Zeichen“, sagt Seidler. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Jahr 2023 hätten viele Jüdinnen und Juden in Deutschland Angst, ihre Religionszugehörigkeit öffentlich zu zeigen. Doch sie seien für den Nahostkonflikt nicht verantwortlich zu machen, betont Seidler. Jetzt gehe es um das jüdische Leben in Deutschland. „Wir müssen zusammenstehen.“