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Ohrwürmer können gerade zur Weihnachtszeit lästig werden

Glühwein, Pommes und Punsch: Auf Weihnachtsmärkten und in Kaufhäusern werden gerade manche Songs in Dauerschleife gespielt. Die Gefahr dabei: Man holt sich einen Ohrwurm. Was man dagegen tun kann:

Der Gemeine Ohrwurm ist ein Fluginsekt. Von der Antike bis in die frühe Neuzeit hinein wurden die Tiere pulverisiert als Medizin gegen Ohrkrankheiten und Taubheit verabreicht. Weit weniger nützlich ist der musikalische Ohrwurm, der dem Hörer quasi ins Ohr kriecht.

“Ich summ den ganzen Tag das immer gleiche Lied, es sitzt in meinem Kopf und geht nicht weg”, heißt es im Ohrwurm-Song der Kölner A-Capella-Gruppe Wise Guys. “Hab alles ausprobiert, damit es sich verzieht, doch leider hat das alles keinen Zweck.”

Gerade in der Adventszeit schlagen die penetranten musikalischen Ohrwürmer zu. Auf Weihnachtsmärkten und in Kaufhäuser dudeln eingängige Songs wie “Last Christmas”, “Feliz Navidad”, “Wonderful Dream” und “Christmas in my heart”. Als “riesige Umweltverschmutzung” hat Rolando Villazon, mexikanisch-französischer Startenor, diese Praxis kritisiert. Advents- und Weihnachtslieder könnten Menschen in einen Geist des Teilens und Umarmens versetzen. Doch den Dauerschleifen in den Kaufhäusern sei man wehrlos ausgeliefert. Das sei “einfach unerträglich”.

Doch wie kommen Ohrwürmer in die Köpfe? Und vor allem: Wie kommen sie wieder heraus? “Ohrwürmer sind musikalische Zwangsgedanken, halten aber das Hirn wach”, sagt Christoph Reuter, Musikwissenschaftler der Uni Wien. Und Jan Hemming, Musikwissenschaftler von der Universität Kassel, definiert das Phänomen so: “Ein Ohrwurm ist ein Schnipsel von einem Lied oder Musikstück, das wir in Endlosschleife erst unwillkürlich abspeichern und dann in unserem Kopf neu produzieren, ohne dass wir das bewusst steuern.”

Auch Hemming vermutet, dass das Gehirn die Endlosschleifen bevorzugt dann produziert, wenn es sich langweilt. Nach seinen Untersuchungen entstehen Ohrwürmer zu mehr als 70 Prozent in Alltagssituationen wie Abwaschen, Bügeln und Aufräumen beziehungsweise in Leerlauf- und Wartephasen.

Ist ein Zuhörer mit einem bestimmten Titel gut vertraut, so erhöht dies die Chancen des Musikstücks, zum Ohrwurm zu werden. In einer Versuchsreihe am Kasseler Institut für Musik zeigte sich, dass 60 Prozent der Stücke, die sich bei den Probanden zum Ohrwurm entwickelten, bei den Betroffenen bereits bekannt und beliebt waren, wie Hemming der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte.

Pure Wiederholung reicht aber nicht aus, um das Gehirn zu infizieren. “Das Auftreten eines Ohrwurms ist immer unwillkürlich”, erklärt Hemming. Ein Musiker kann ihn nicht planen, ein Musikkonsument kann ihn nicht vorhersehen. Manchmal stellt sich die akustische Endlosschleife im Kopf schon nach einmaligem Hören ein, manchmal erst nach Tagen. Auslöser kann eine Assoziation sein, vielleicht ein Geruch oder ein Klang. Dann verbindet sich das “Last Christmas” im Ohr mit dem Glühweinduft in der Nase.

Der Ohrwurm sagt also mehr über denjenigen aus, der ihn gerade hat, als über die Musik. Es muss auch nicht immer Musik sein, die einem gefällt. Manchmal werden sogar Songs, die besonders nerven, zu Ohrwürmern. Menschen, die sich viel mit Musik beschäftigen – also oft Musik hören, als Chorsänger für ein Konzert proben oder ein Instrument spielen – sind anfälliger für Ohrwürmer, vermutet Hemming.

Der Wissenschaftler verweist darauf, dass professionelle Songwriter gezielt versuchen, eingängige Elemente und Passagen in ihren Liedern einzusetzen. Diese so genannten Hooks sollen den Wiedererkennungswert und so letztlich den Erfolg eines Songs steigern. Drei Faktoren sind wesentlich: Einfachheit, Wiederholung und Überraschung. Eine “Ohrwurmformel” aber lässt sich daraus nicht ableiten, betont der Kasseler Forscher.

Und wie wird man die klebrigen Lieder wieder los? “Indem man sich auf anderes konzentriert, etwa auf die Steuererklärung, die Hausaufgaben oder andere Musik”, sagt Hemming. Befunde aus England legen nahe, dass auch das Kaugummikauen helfen kann, um sich abzulenken und die Dauerschleife zu unterbrechen. Offenbar unterdrückt das Kauen den Reflex, den Ohrwurm innerlich mitzusingen.