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Ökumenischer Filmpreis von Cannes für Drama um junge Mütter

Das belgische Regie-Duo Jean-Pierre und Luc Dardenne hat beim 78. Filmfestival in Cannes den Preis der Ökumenischen Jury erhalten. Das sensible Thema Teenarger-Schwangerschaft gehen sie aus einer eigenen Perspektive an.

Die belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne (76 und 71) zählen seit knapp drei Jahrzehnten zu den ganz großen Filmemachern. Mit ihren Filmen räumen sie bei den wichtigsten Festivals nahezu immer Preise ab. Allein in Cannes haben sie mit “Rosetta” (1999) und “L’enfant” (2005) schon zweimal die Goldene Palme gewonnen sowie zahlreiche weitere Auszeichnungen, darunter den Großen Preis der Jury (für “Der Junge mit dem Fahrrad”), den Preis der Jury (für “Young Ahmed”), fürs beste Drehbuch (“Lornas Schweigen”) oder den Sonderpreis des Festivals (“Tori & Lokita”). Und auch beim diesjährigen Filmfestival an der Côte d”Azur vom 13. bis 24. Mai ragte ihr jüngstes Werk “Jeunes mères” über junge Mütter, die selbst fast noch Kinder sind, singulär aus dem Wettbewerb heraus.

Mit meisterlicher Präzision erzählen die Dardennes in “Jeunes mères” von fünf minderjährigen Jugendlichen, die in einem Heim für junge Mütter in der belgischen Stadt Liège ein Platz gefunden haben. Eine von ihnen hat ihr Kind schon bekommen, obwohl sie dies eigentlich nicht wollte; doch ihre eigene Mutter, eine übergriffige Alkoholikerin, hat keine Ruhe gegeben und sie immer stärker bedrängt, wohl auch, um ihr eigenes Leben wieder aufzurichten. Ein anderes Mädchen möchte ihr eigenes Schicksal nicht wiederholen: Als Baby wurde sie zur Adoption freigegeben; noch immer leidet sie darunter, nach ihrer Geburt verstoßen worden zu sein. Deshalb hat sie ihrer noch ungeborene Tochter Alba geschworen, sie nie im Stich zu lassen.

In den hellen Räumen der Einrichtung werden Perla, Jessica, Ariane, July und Naïma von Sozialarbeiterinnen unterstützt, die ihnen mit Geduld und Empathie beistehen in ihren Sorgen, Nöten und Ängsten und sie auf den Alltag als Mütter vorbereiten. Zugleich setzen sie aber auch knallharte Grenzen und versuchen herausfinden, ob die Kinder-Mütter die Verantwortung für ihre Babys auch tragen können.

Eine der großen Stärken des unaufgeregten, aber sehr berührenden Dramas ist die Geduld, mit der erste, vorschnelle Eindrücke revidiert werden. Denn man erfährt erst nach und nach Details und Hintergründe aus dem Leben der jungen Frauen, deren Lebenswege alles andere als einfach waren. Doch auch wenn sie Gewalt, Missbrauch und Demütigungen erlebten, haben sie sich nicht unterkriegen lassen, sondern auf ihre je eigene Weise behauptet. Und obwohl sie fast noch Kinder sind, erscheinen sie auf seltsame Weise doch erwachsen.

Ihre Geschichten sind nicht miteinander verbunden oder chronologisch angeordnet, sondern werden verschränkt erzählt. Die Handkamera filmt die Darstellerinnen meist aus nächster Nähe, während die Umgebung in den Hintergrund tritt. Die Inszenierungskunst der Dardennes erzeugt dabei eine fast dokumentarische Natürlichkeit, mit schmerzvollen Momenten, aber auch der Erkenntnis, dass es trotz allem immer einen Weg gibt.

Während in vielen anderen Filmen über Teenager-Schwangerschaften die Frage der Abtreibung zentral ist, rückt in “Jeunes mères” ein anderer Aspekt in den Vordergrund. Denn trotz aller Verantwortung der jungen Mütter geht es hier auch um die Verantwortung der Gesellschaft, junge Frauen in einer solchen überfordernden Lebenssituation nicht allein zu lassen. Der tiefe Humanismus in den Filmen des belgischen Brüder-Duos findet in diesem Aspekt seine eigentliche Zuspitzung; neben ihrer Kunst, aus filmischen Figuren echte Menschen zu machen, schlagen die Regisseure damit einen konstruktiven politischen Ton an, weil die Geschichten ihrer fünf Protagonistinnen allesamt auf ein Happy End hinauslaufen.

Das hob auch die Ökumenische Jury in ihrer Laudatio hervor, mit der sie “Jeunes mères” ihren Preis beim 78. Filmfestival in Cannes zuerkannte. Denn die “Ethik findet in dem Film nicht in großen Gesten, sondern in stiller Fürsorge statt.” Weiter heißt es: “Jeunes mères berüht eigene tiefe Wahrheit: Liebe kann weiterbestehen, selbst wenn die Familie als grundlegende soziale Struktur versagt, wenn die Umstände ungerecht oder die Jugend mit der Verantwortung überlastet ist.” Der Film führe eindringlich vor Augen, dass selbst kleine, beharrliche Liebesbeweise und die Fürsorge von Einzelpersonen wie auch von Institutionen “sogar tiefste Wunden heilen können.”

Mitglieder der Ökumenischen Jury beim 78. Filmfestival in Cannes waren Lukáš Jirsa (Tschechien; Jurypräsident), Arielle Domon (Frankreich), Anne-Cécile Antoni (Frankreich), Thomas D. Fischer (Deutschland), Milja Radovic (Großbritannien) und Roland Wicher (Deutschland).