Früher oder später stehen wir alle vor solchen Themen: Wenn es um Geburt, Krankheit und Sterben geht, gibt es viele herausfordernde Fragen. Alena Buyx bietet Rüstzeug für Antworten.
Sie ist die Frau für Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Die Medizinethikerin Alena Buyx (47) stand von 2020 bis 2024 und damit während der Corona-Phase an der Spitze des Deutschen Ethikrats. Als Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien in München befasst sie sich mit den großen Fragen von Embryonenforschung bis Sterbehilfe und vom Einsatz Künstlicher Intelligenz in Krankenhäusern und Arztpraxen bis zu Gerechtigkeitsfragen bei der Finanzierung des Gesundheitswesens.
In vielen dieser Bereichen gibt es dramatische Entwicklungen: Die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin erweitern sich – bis hin zur Auswahl bestimmter Fähigkeiten bei Embryonen. In der alternden Gesellschaft verändern sich die Einstellungen zum Suizid und zur aktiven Sterbehilfe. Und Künstliche Intelligenz hält Einzug in Arztpraxen, Krankenhäuser und Altenheime.
Unter dem Titel “Leben und Sterben” legt die Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin (IGEM) an der Technischen Universität München jetzt ein Buch vor, das die ethischen Fragen, vor denen fast alle Bürger früher oder später stehen, allgemeinverständlich und lebensnah diskutiert.
“Allgemein gesprochen stellen wir in der Medizinethik Fragen nach dem moralisch Gesollten, Erlaubten und Zulässigen, speziell im Umgang mit menschlicher Krankheit und Gesundheit”, beschreibt Buyx ihr Fach. Die im Buch genannten Herausforderungen umfassen die gesamte Lebensspanne: So geht es ebenso um künstliche Befruchtung, pränatale Diagnostik und Frühgeburten wie um Sterbehilfe, assistierten Suizid und Palliativmedizin.
Buyx nimmt ihre Leser mit ins Krankenhaus und in die Beratungsstellen, in die Hospize oder in die Altenheime. Zu jedem Thema gibt es einen gut verständlichen Überblick über den aktuellen Stand der Debatten. Es folgen Fallbeispiele, die verstehen helfen, wie ethische Überlegungen zum Kompass für das Handeln von Ärzten, Patienten und ihren Familien werden können. “Ich möchte Ihnen zeigen, wie die Medizinethik arbeitet”, schreibt die Medizinerin im Vorwort. “Es würde mich freuen, wenn es gelingt, Ihnen das medizinethische Handwerkszeug so weit nahezubringen, dass Sie befähigt sind, es nicht nur auf die hier im Buch verhandelten Themen anzuwenden, sondern darüber hinaus vielleicht auch auf Situationen in Ihrem eigenen persönlichen Leben.”
Buyx verschweigt nicht, dass es häufig keine eindeutigen Antworten gibt. “Manchmal, und ehrlich gesagt eigentlich sogar meistens, gibt es mehrere, gleich oder ähnlich gut zu begründende Positionen”, verrät Buyx. Nicht immer finde man in ethischen Fragen den “Korridor der Gemeinsamkeit” – also eine trotz anfangs unterschiedlicher moralischer Überzeugungen gemeinsame ethische Position.
Buyx nennt im Buch vier zentrale Prinzipien für eine Medizinethik: Das Prinzip des Respekts vor Selbstbestimmung von Patienten besagt, dass jede Person selbst darüber bestimmen darf, was mit ihrem Körper geschieht, und dass diese Entscheidungen respektiert werden müssen. Das Prinzip des Nichtschadens ist ein uraltes medizinethisches Prinzip und fordert, dass mit medizinischen Maßnahmen zuallererst nicht weiterer Schaden verursacht werden darf und unerwünschte Nebenwirkungen und Risiken zu beachten sind. Das Prinzip der Fürsorge verlangt, die bestmögliche Behandlung und Versorgung für den individuellen Patienten anzustreben. Und das Prinzip der Gerechtigkeit erfordert, zeitliche, personelle, materielle Ressourcen in der Medizin angemessen, bedarfsgerecht und fair zu verteilen.
Einen Schwerpunkt legt das Buch bei den ethischen Fragen am Lebensende. Buyx unterstreicht, dass die Rechtsprechung in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten der Selbstbestimmung der Menschen einen weit höheren Stellenwert zuschreibt – und damit auch der Möglichkeit, Therapien zu beenden oder Beihilfe zum Suizid zu ermöglichen.
Bei der in Deutschland verbotenen aktive Sterbehilfe äußert sich die Medizinethikerin differenziert. Ethisch halte sie diese Form der Lebensbeendigung für begründbar. Dennoch sei sie dagegen, sie einzuführen: “Wir sehen, dass in den Ländern, die sich für aktive Sterbehilfe entschieden haben, die Zahlen derjenigen gerade steigen, die sie in Anspruch nehmen. Man muss sich fragen, woran das liegt.” Möglicherweise fühlten sich kranke Leute unter Druck gesetzt, der Gesellschaft oder ihrer Familie nicht zur Last zu fallen. Und solange solche empirischen Fragen offen sind, rate ich davon ab, aktive Sterbehilfe einzuführen.”