„Christ ist erstanden“ ist das vielleicht älteste deutsche Kirchenlied, das noch heute gesungen wird. Fürs Mittelalter erstaunlich, dass Geistliche in ihrer lateinisch vorgetragenen Liturgie erlaubten, dass sich einfaches Volk am Gottesdienst beteiligt, zunächst mit einem „Kyrie eleison“ als Antwort. Ein Prager Dokument aus dem Jahr 973 nennt leicht herablassend als letzte Stufe solch eines Kyrie-Rufes nach den Klerikern und den Adligen das seit alters gesungene Kyrieeleison des Volkes. Daraus haben sich die so genannten „Leisen“ entwickelt, vierzeilige Kirchenlieder mit angehängtem „Kyrie eleison“ oder meistens verkürzt „Kyrieleis“.
Beinahe alle Leisen sind als deutsche Einschübe zu lateinischen Sequenzen, Tonfolgen entstanden. Diese Osterleise „Christ ist erstanden“ benutzt melodisches Material von der Ostersequenz „Victimae paschalis laudes immolent Christiani“, als muttersprachliches Echo der Gemeinde. „Christ ist erstanden“ ist eines der sechs Lieder in unserm Gesangbuch, in denen alle Strophen auf „Kyrieleis“ enden. Luther hat es 1529 in sein Gesangbuch aufgenommen.
Aber vor allem nahm er sich dieses altkirchliche Osterlied „Victimae“ vor, sicher weil es unübertroffen das Ostergeheimnis mit klassischer Kürze ihrer lateinischen Prägnanz preist. Und er „bessert und verdeutscht“ es, wie er einmal sagte. Daraus wurde das Lied „Christ lag in Todesbanden“.
Schon die Form zeigt Luthers Meisterschaft: Sein Lied hat nun sieben Strophen, jede Strophe hat sieben Zeilen, jede Zeile hat sieben Silben. Und inhaltlich erst: In Strophe eins ist der Tod Jesu Vergangenheit. Jesus ist auferweckt, er lebt wieder und bringt uns das Leben.
Wir haben’s nötig, denn durch unsere Sünde „kam der Tod so bald“ (Strophe zwei) – das altdeutsche „bald“ bedeutet „mächtig, kühn“, wie es heute noch als Namensbestandteil vorkommt. Doch dann greift Gottes Sohn ein, und nur noch die äußere Gestalt bleibt vom ewigen Tod, der Knochenmann mit einer stumpfen Sense, kaputt, abgebrochen, verloren: von 1. Korinther 15,55 („Tod, wo ist dein Stachel?“) in Strophe drei.
Luther verschiebt die Lyrik und Dramatik seiner Vorlage (Frage und Antwort, Jünger, Maria Magdalena, Engel) noch mehr ins Theologische, indem er das Motiv des wunderlichen Zweikampfs im Original in einem großartigen Bild beschreibt: den Kampf von Tod und Leben. Zwei Mächte ringen miteinander, und eine frisst die andere auf. Dieses Bild in unserm Lied besagt, dass Jesu Tod unseren Tod gefressen und erledigt hat. Strophe vier in der Mitte des Liedes ist der Höhepunkt des Liedes.
Dann stellt uns Luther in die Befreiungstradition des Volkes Israel, das in der Nacht, mit der der Exodus aus der Sklaverei begann, das Osterlamm geschlachtet und mit dessen Blut die Türpfosten bestrich (Strophe fünf). Exodus und Golgatha: Jesus wird „das recht Opferlamm“ genannt. Wir feiern ein Fest (Strophe sechs), Jesus „ist selber die Sonne“, die für uns am Ostermorgen aufgeht und das Ende der Sündennacht markiert.
Am Schluss wird in Strophe sieben von Luther noch einmal die jüdische Tradition aufgerufen: Wir werden eingeladen zum „rechten Osterfladen“, heute modernisiert zum „süßen Brot“, zum Brot ohne Sauerteig, den Matzen, wie wir sie als Hostien im Abendmahl bekommen.
Wir dürfen leben, weil Gott uns liebt – so können wir Ostern feiern. Dazu gehört immer auch Musik. Weil sie zu Herzen geht. Luther schuf für sein Lied selber die Melodie und umspielt so „Christ ist erstanden“.
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Neue Worte für das uralte Ostergeheimnis
Bis Pfingsten wird die Osterliturgie gefeiert. Auch die Osterlieder des Gesangbuchs werden in den Gottesdiensten bis dahin gesungen