Dass Gesundheit und Pflege in der alternden Gesellschaft teurer werden, lässt sich kaum verhindern. Die Frage ist: Wer bezahlt? Ein Gutachten gibt Antworten, die nicht jedem gefallen werden.
Die finanzielle Lage der Pflegeversicherung ist offenbar schlechter als gedacht. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Das Defizit ebenso. Seit Jahren wird um die Finanzierung der Pflegeversicherung gestritten. Jetzt gibt es ein neues Gutachten. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) gibt einen Überblick.
Die Babyboomer werden die Situation der Pflege massiv verändern. Nicht nur, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren stark zunehmen wird. Auch bei den professionell Pflegenden scheiden bald viele aus dem Arbeitsleben aus. Das bedroht die Versorgung älterer Menschen stark.
Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt: Erhielten 2003 etwas mehr als 2 Millionen Menschen Leistungen der Pflegeversicherung, sind es mittlerweile 5,2 Millionen. Pro Jahr kommen durchschnittlich 300.000 Personen hinzu, 2023 sogar 360.000.
Hintergrund sind die Alterung der Gesellschaft, aber auch Reformen der Pflegeversicherung, die zu mehr Leistungsempfängern führten. Bis 2055 dürfte die Zahl nach Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes auf mehr als 7 Millionen steigen.
Die Gesamtausgaben der sozialen Pflegeversicherung lagen 2023 bei rund 59,2 Milliarden Euro. Die Ausgaben für die ambulanten Leistungen beliefen sich auf 36,2 Milliarden Euro, für stationäre Leistungen lagen sie bei rund 19,7 Milliarden Euro.
“Bildlich steht das Haus der Pflegeversicherung in Flammen”, hat Anne-Kathrin Klemm, Vorständin beim BKK Dachverband, im vergangenen Jahr erklärt. Laut vorläufigen Zahlen des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) hat die Pflegeversicherung im vergangenen Jahr ein Defizit von voraussichtlich 1,55 Milliarden Euro verzeichnet. Im laufenden Jahr rechnet der Verband nur mit einem “kleinen Minus” von 300 Millionen Euro. Der Grund: Zum 1. Januar wurde der Pflegebeitrag um 0,2 Prozent angehoben, wodurch 3,7 Milliarden Euro in die Kassen gespült wurden. Nach Angaben von GKV-Chefin Doris Pfeiffer werden 2026 aber wieder größere Finanznöte wegen steigender Ausgaben erwartet. 2025 sei ein Anstieg von “deutlich über elf Prozent” zu erwarten – wegen höherer Personalkosten, Inflation und steigender Zahlen von Pflegebedürftigen.
Es gibt wenige Stellschrauben: Entweder höhere Beiträge in der Pflegeversicherung, auch durch private Zusatzversicherungen, höhere Steuerzuschüsse oder mehr Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen. Seit Jahren fordern SPD und Grüne eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen – auch Beamte und Selbstständige. Die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen fordern die Bundesregierung immer wieder dazu auf, ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen und Kranken- und Pflegeversicherung von den versicherungsfremden Leistungen zu entlasten. Bisher vergeblich.
Rothgang fordert die Verschmelzung von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung zu einer einheitlichen Bürgerversicherung. Da die Alters-, Geschlechter- und Risikostruktur für Privatversicherte im Durchschnitt günstiger sei, fielen die Ausgaben der gesetzlichen Versicherung pro versicherte Person doppelt so hoch aus wie die der privaten Versicherung. Außerdem will der Bremer Wissenschaftler der Versicherung neben den Beiträgen aus Arbeitslöhnen weitere Einkommensarten zur Verfügung stellen – etwa Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Mieten und Verpachtung oder auch Renten und Pensionen. Außerdem will er die Beitragsbemessungsgrenze deutlich anheben, bis zu der Versicherungsbeiträge aus dem Einkommen bezahlt werden müssen. Durch diese Reformen würde die Einnahmebasis stark verbreitert. Rothgang zeigt sich überzeugt, dass sich dadurch eine Pflegevollversicherung ohne ständige Beitragsanhebungen langfristig finanzieren lasse.
Diese Debatte gibt es schon seit Jahrzehnten. Eine Zusammenlegung von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung ist juristisch und politisch schwierig. Union und FDP lehnen das ab, auch wenn Unionspolitiker aus den Bundesländern einer Vollversicherung mit überschaubarer Eigenbeteiligung positiv gegenüberstehen. Sie würde nämlich die Kommunen von Sozialhilfekosten entlasten. Auch der Verband der Privaten Krankenversicherung sorgt für heftigen Gegenwind. Versicherungsbeiträge auf Aktiengewinne, Renten und Mieten dürften auch für Widerstand bei Teilen der Bevölkerung sorgen – Robert Habeck lässt grüßen.