Unverständlich, irrwitzig, komplett irrational, so kommen uns viele unserer Träume vor. „Wir sind in unserer Gesellschaft stark rational geprägt und verstehen deshalb unsere Träume so schlecht“, erklärt Dieter Schnocks, erster Vorsitzender des C.G. Jung-Instituts in Stuttgart. „In unserem Alltag sind wir modern und realistisch, aber in unseren Träumen sind wir wieder wie unsere Urahnen, die in alten Bildern träumen.“ In anderen Kulturen ist das anders: Bei Flüchtlingen aus dem Orient beispielsweise hat Schnocks beobachtet, dass sie Traumsymbole schnell verstehen. In ihren Herkunftsländern werde wohl eher noch auf Dinge geachtet, die sich nicht nur rational erklären lassen.
Sterben im Traum bedeutet oft Veränderung
Doch was genau wollen uns unsere Träume sagen? Zunächst einmal müsse man schauen, was im Traum passiert und was das eigentliche Thema hinter dem Geschehen ist. „Wenn jemand träumt, dass ein anderer stirbt, heißt das nicht automatisch, dass diese Person auch tatsächlich stirbt“, sagt Dieter Schnocks. Vielleicht sei da gerade eine Beziehung am Sterben, oder es sei notwendig, sich von dieser Person, zum Beispiel Vater oder Mutter, zu lösen. „Sterben heißt oft Wandlung, etwas verändert sich“, erklärt Schnocks.
In der Beratung tasten sich Therapeut und Klient nach dem Prinzip „Kalt, kalt, warm“ vor, denn nur der Träumer kann sagen, ob die Bedeutung für ihn passt. Die meisten Symbole haben sehr unterschiedliche und auch ganz gegensätzliche Bedeutungen. Zu sagen, ein Symbol habe nur den einen Sinn, sei unseriös. „Wir müssen ertragen, dass ein Traumgeschehen viele verschiedene Aspekte haben kann“, sagt Schnocks. Das könne sogar so weit gehen, dass er jetzt einen Traum auf eine Weise verstehe und einen Tag später wieder ganz anders. Ein Schlüssel zur Bedeutung sei deshalb die Haltung, dass „uns viele Träume auf etwas aufmerksam machen wollen“.
Viele seiner Klienten seien erst einmal schockiert, wenn sie aggressive Träume haben, sie zum Beispiel kämpfen, schlagen, treten oder mit Gegenständen um sich werfen. „Das heißt dann nicht, dass sie das auch in die Tat umsetzen.“ Aggression sei ein sehr starker Impuls, der den Wunsch nach Veränderung ausdrücke. Diesem Wunsch müsse im Gespräch auf den Grund gegangen werden. Und manchmal müssten Menschen auch lernen, im guten Sinne aggressiv zu sein. Auch das generelle Geschehen im Traum gelte es näher zu betrachten. Wenn beispielsweise eine 50-jährige kinderlose Frau in der Nacht sehe, wie sie ein Kind zur Welt bringt, dann gehe es darum, diese Handlung symbolisch zu verstehen. Als etwas, das im Leben dieser Frau Neues aufbrechen soll. „Was will Neues zu mir und welche Änderungen stehen an?“ seien hier hilfreiche Leitfragen.
Träume oft in Zeiten des Umbruchs
Häufig träumen Menschen auch in Zeiten, in denen ihr Leben stark im Umbruch ist. So habe Schnocks Neffe kurz vor seiner Einschulung geträumt, sein Elternhaus brenne, die Feuerwehr konnte es nicht retten, am Ende war das Haus komplett zerstört. Schnocks fragte ihn damals, was man denn nun mit dem Haus machen könne – und sein Neffe antwortete „Dann bauen wir ein neues Haus!“ So verstanden, war das verbrannte Elternhaus ein Sinnbild für das vertraute Leben des kleinen Kindes und das neu zu bauende Gebäude ein Hinweis auf das neue Leben als Schulkind.
Nicht jeder erinnert sich an seine Träume, und auch nicht jeder, der sich an seine Träume erinnern kann, weiß beim Aufwachen immer genau, welche Bilder er im Schlaf gesehen hat. Manchmal erinnert man sich nur noch an das Gefühl. Wenn man beispielsweise am Abend gut gelaunt zu Bett gegangen ist und am nächsten Morgen niedergeschlagen aufwacht, „dann könnte das ein Hinweis darauf sein, dass man im Traum eine Aufgabe nicht gelöst hat“. Das wiederum sei nicht schlimm, denn das würde lediglich bedeuten, dass die Zeit noch nicht reif dafür ist, eine bestimmte Aufgabe zu lösen, vielleicht ist eine Lösung in anderen Traumnächten möglich. Umgekehrt gelte aber: „Was man im Traum schafft, das bewältigt man in der Regel auch im Wachzustand.“
Es gibt Menschen, denen im Traum bewusst wird, dass sie gerade träumen. Sie haben so genannte „Lucide Träume“. Schnocks selbst hat solche Träume nicht, kennt aber einige Menschen, die sie haben. „Ein solcher Träumer hat die Möglichkeit, in das Geschehen selbst einzugreifen. Beispielsweise, indem er sich sagt ‚den Quatsch mache ich jetzt nicht‘ oder ‚den Bären erlege ich, ich laufe nicht mehr davon.‘“
Jeder träume immer, sagt der Psychoanalytiker, und das jede Nacht. „Es scheint so, dass die Natur keinen Leerlauf zulässt, und nachts wird hart gearbeitet.“ Allerdings erinnern sich Menschen unterschiedlich an ihre Träume. Das könne auch phasenweise unterschiedlich sein. Stress beispielsweise könne blockieren, sagt Dieter Schnocks. Damit schütze sich die Seele. Untersuchungen hätten gezeigt, dass Menschen im Krieg wenig Träume erinnern. „In solchen Zeiten ist man in der Regel so mit dem Überleben beschäftigt, dass man nicht auch noch über Träume sinnieren kann“, meint der Psychotherapeut. Aber auch da gibt es Ausnahmen. Manchen Menschen stehen gerade in Krisen große Träume hilfreich zur Seite. Und wenn man denselben Traum immer wieder träumt? Dann sei es wichtig, so Schnocks, genau hinzuschauen. Kein Traum sei genau gleich wie der andere. Die Abweichungen seien meist nicht groß, aber das Thema wiederholt sich. Wiederkehrende Träume wollen einen auf ein bestimmtes Thema aufmerksam machen, davon ist Schnocks überzeugt. Aufmerksam machen wollen einen auch Albträume: Nämlich auf Dinge, die nicht verarbeitet sind.
Die tiefste Schicht der Seele spricht
Spricht denn Gott auch heute in Träumen zu uns, wie uns das biblische Geschichten erzählen? Dieter Schnocks antwortet hierauf mit den Aussagen von Carl Gustav Jung. Der sage, dass man sich selbst höre, dass die tiefste Schicht der Seele zu einem Menschen im Traum spricht. „Für religiöse Menschen ist das Gott“, formuliert Schnocks vorsichtig. In früheren Zeiten seien gerade die Tage um Weihnachten herum eine heilige Zeit gewesen, in der die Menschen auch viel geträumt hätten – es wurde schon früh dunkel, es gab wenig Licht.
Siegfried Brischar ist zutiefst davon überzeugt, dass Gott auch heute noch in Träumen zu uns spricht, auch dann, wenn es zumeist keine konkrete Handlungsanweisung in den Träumen gibt. Der katholische Theologe zitiert den 2013 verstorbenen evangelischen Pfarrer und Psychotherapeuten Helmut Hark: „Die Gotteserfahrung, die in den Träumen der Bibel geschildert wird, kann sich in ähnlichen Gottesbildern in den Träumen heute lebender Menschen wiederholen.“ Wer das Reden Gottes in Träumen erkennen wolle, könne zum Beispiel fragen, wie dieser Traum das eigene innere Wachstum vorantreibe, so Brischar. Manche Träume gehen auch in biblische Bilder hinein und locken ein Thema heraus, das den Träumenden unterbewusst beschäftigt.
Biblische Bilder und Themen im Traum
Siegfried Brischar beispielsweise hat erst kürzlich geträumt, dass in seinem Inneren ein Gebet entsteht. Als dieses Gebet zuende war, stellte er fest: Es war das Vaterunser. „Im Wachbewusstsein wurde mir dann klar, dass dieses Gebet ein Symbol ist für das Urvertrauen.“ So wurde ihm das Vaterunser auf ganz neue Weise bewusst. Dieser Traum habe, wie viele andere „geistliche Träume“, bei ihm sehr stärkende und befreiende Erfahrungen ausgelöst und ein tiefergehendes Verständnis des jeweiligen Bibeltextes. So hat er beispielsweise auch über den 23. Psalm geträumt. Das komplette Traumgeschehen lässt sich nur schwer noch greifen, wohl aber die Stimmung: Innere Heiterkeit und eine tiefe Geborgenheit.