Ihrem friedlich schlummernden Neugeborenen innig zugetan, steht die junge Mutter da. Kopf und Schulter schützen eine dicke Decke, die auch das Kind in ihren Armen umhüllt. Abgelenkt von dem steinigen, unwegsamen Untergrund zu ihren Füßen hat sie jetzt nur noch Augen für ihren kleinen Sohn. An ihrer Seite verharrt ihr Mann. Den Wanderstab fest umgriffen, die weit geöffneten Augen in die Ferne gerichtet, scheint er für einen Moment innezuhalten, um zu sehen, wie es jetzt für sie weitergeht.
Jetzt, nachdem die kleine Familie die enge unscheinbare Öffnung in der stacheldrahtgekrönten Mauer aus wuchtigen Betonstelen endlich gefunden hat – dank des wegweisenden Sterns, der mit seinem langen Schweif hoch über ihren Köpfen schwebt. Die Stadt im Hintergrund, wohl der Geburtsort ihres Kindes, ist nur noch schemenhaft zu erkennen.
„Die Weihnachtsbotschaft heißt Hoffnung“
Die eindrucksvolle Szene, gestaltet von der Kieler Diplompädagogin Marlene Moss, gehört zu den markantesten der von rund 90 Künstlerinnen und Künstlern geschaffenen etwa 130 Exponate in der aktuellen 76. Krippenausstellung im münsterländischen Telgte, die dort im Westfälischen Museum für religiöse Kultur „Religio“ noch bis zum 28. Januar zu sehen sind. Bei der Umsetzung des in diesem Jahr vorgegebenen Themas „Stern über Bethlehem“ nach dem gleichnamigen Kirchenlied von Alfred Hans Zoller (EG 546) hat die Krippenkünstlerin, wie der Ausstellungskatalog erläutert, „die Heilige Familie in die heutige Realität der Stadt Bethlehem“ gestellt.
Symbol dieser Realität ist eine Mauer aus bis zu acht Meter hohen Betonpfeilern entlang der Grenzlinie zwischen Israel und dem Westjordanland. Die Sperranlage, aus israelischer Sicht politisch gerechtfertigt als Schutzwall gegen palästinensische Selbstmordattentäter, trennt in ihrem Verlauf die Stadt von Jerusalem und kleineren palästinensischen Dörfern.
Maria, Josef und das Jesuskind sterngeleitet durch einen schmalen Spalt in diesem Bollwerk schlüpfen zu lassen, zeigt bildstark die Zeitgemäßheit der christlichen Weihnachtsbotschaft mit ihrer Hoffnungsperspektive. „Jesus ist hier der Friedensbringer als Aus-Weg aus kriegerischer Auseinandersetzung“, heißt es im Katalog.
Einen anderen Aktualitätsbezug stellt Ursula Messner aus Nordkirchen her. Sie verbindet in ihrer großformatigen Erzählung der Weihnachtsgeschichte das Geburtsereignis mit der Flüchtlingsbewegung. Die aus Papier modellierten Figuren strömen – mit ihren paar Habseligkeiten – auf dem Landweg und über das Meer dem Stern folgend Richtung Stall zur „Heiligen Familie“. Aus der Gegenrichtung mit demselben Ziel kommen – mit Geschenken – die in katholischer Tradition „Heiligen Drei Könige“.
Die genannten Exponate belegen eindrucksvoll das Besondere der Telgter Krippenausstellung. „Es geht nicht darum, in 120 Variationen die klassische Krippenszene vorzustellen, sondern um die Bedeutung der Weihnachtsbotschaft heute“, sagt dazu Museumsleiterin Anja Schöne. Was die Zurschaustellung auch traditioneller Krippenarbeiten allerdings nicht ausschließt, wie etwa die der Holzbildhauermeister Claudia und Willi Potthoff aus Herzebrock.
Beides hat im „Religio“ seinen angemessenen Platz an diesem „Ort der Bildung, Begegnung und Besinnung“, als den Anja Schöne das Museum verstanden wissen will. Hautnah bestätigt findet sie eben das, wenn etwa Schulklassen mit muslimischen Schülern in ihren Reihen ins Haus kommen oder christliche Frauengruppen mit geflüchteten Frauen. „Anhand der Exponate lässt sich schön vermitteln, warum in Deutschland Weihnachten gefeiert wird und was die Basis des Festes ist, um darüber miteinander ins Gespräch zu kommen“, ist ihre Erfahrung aus vielen Begegnungen.
Zur Botschaft der aktuellen Schau „Stern über Bethlehem“ sagt sie: „Sie zeigt, dass das Christentum eine Religion der Barmherzigkeit ist, die sich um Arme und Schwache – in diesem Fall Flüchtlinge – kümmert, und dass ihre Botschaft eine der Hoffnung ist.“
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11-18 Uhr (1. Weihnachtstag und Neujahr, 14-18 Uhr), Heiligabend und Silvester geschlossen. Internet www.museum-religio.de.