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Nachruf auf Horst Köhler: Und immer scheint der Mensch hindurch

Horst Köhler stand mitten im Leben dieser Gesellschaft: Staatssekretär, Verhandler, Internationaler Banker, Bundespräsident. Und Christ. Ein Nachruf von Wolfgang Huber.

Der frühere Bundespräsident Horst Köhler (1943-2025)
Der frühere Bundespräsident Horst Köhler (1943-2025)epd-bild/Christian Ditsch

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen. 1. Korinther 13, 13

Diesen Satz des Paulus haben Horst Köhler und seine Frau sich als Bibelvers ausgesucht, als ich sie kirchlich trauen durfte. Damals ging es um das Verbinden vor Gott, und nun geht es um eine Verbundenheit in Gott, die den Abschied überdauert. Was also verbindet? – Die Antwort ist: „Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Wenn ich an den Menschen denke, der bei Horst Köhler wie bei nur wenigen immer durch das Staatsamt hindurchschien, denke ich an eine Begegnung, die sich mir tief eingeprägt hat und die für mich mehr als deutlich zum Ausdruck bringt, wer er war und was ihn auszeichnete.

Wolfgang Huber und Horst Köhler: Gemeinsam zur Trauerfeier von Frère Roger

Ich hatte den Bundespräsidenten in den Brandenburger Dom eingeladen. Kurz vor diesem Termin war am 16. August 2005 der Gründer der ökumenischen Gemeinschaft im französischen Taizé, Frère Roger, von einer psychisch kranken Frau in der Versöhnungskirche tödlich verletzt worden. Unmittelbar darauf rief der Bundespräsident mich an und legte mir dar, er wolle genau an dem Tag, für den wir verabredet waren, zur Trauerfeier für Frère Roger nach Taizé fahren. Er unterstrich, welch ökumenische Bedeutung der Gemeinschaft von Taizé nach seiner Auffassung zukam. Er hielt es für wichtig, nach dem schrecklichen Messer-Attentat ein Zeichen der Ermutigung zu setzen und lud meine Frau und mich dazu ein, seine Frau und ihn auf dieser Reise zu begleiten.

In Taizé wurden wir von dem neuen Prior begrüßt. Vor dem offenen Sarg Frère Rogers saßen wir – verbunden in der Trauer über den Verlust eines großen Ökumenikers und ebenso in der Einsicht, dass wichtige Schritte im Verhältnis der christlichen Kirchen noch immer vor uns liegen. Neben der Trauer über den Tod von Frère Roger, den Gründer einer so ausstrahlungsstarken kirchen- und konfessionsübergreifenden Gemeinschaft, kreiste das Gespräch um die Ökumene. Der Bundespräsident stellte dem neuen Prior Bruder Alois die Frage, ob denn bei dem Trauergottesdienst am nächsten Morgen die Eucharistie für alle Glieder der versammelten ökumenischen Gemeinde in gleicher Weise ausgeteilt würde. Die Antwort des Priors stellte klar, dass dies gemäß den geltenden Regeln nicht vorgesehen sei.

Der evangelische Theologe Wolfgang Huber
Der evangelische Theologe Wolfgang Huberepd-bild / Hans Scherhaufer

Eine ökumenische Hoffnung war einmal mehr nicht eingelöst. Doch das Zeichen, das der Bundespräsident mit seiner Anwesenheit gesetzt hatte, blieb. Und seine grundsätzliche Frage blieb, die natürlich hinter der Frage der Eucharistie steht: Was verbindet Menschen mehr, als dass es sie trennt? Was eint uns als Christen – und darüber hinaus?

Mir ist dieses Erlebnis also auch deshalb so in Erinnerung geblieben, weil darin eine Verpflichtung enthalten ist. Wir dürfen diese gerade auch in den heutigen, politisch so angespannten Zeiten, nie aus den Augen lassen: Was verbindet uns? Wie können wir im Geiste Christi Gräben überwinden und Brücken bauen?

Horst Köhler – mitten in dieser Gesellschaft

Horst Köhler stand mitten im Leben dieser Gesellschaft: Staatssekretär, Verhandler, Internationaler Banker, Bundespräsident. Und Christ. Christ im Alltag. Jemand, der leben wollte, was er glaubt. Dass ihm das so oft gelang, macht sein Beispiel stark. Als Brückenbauer Christi wollte er mit seinem eigenen Tun unermüdlich dazu beitragen, dass die Botschaft des Apostels Paulus die Menschen erreicht: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Mit diesen wunderbaren Worten hat Paulus vor zwei Jahrtausenden eine Grundhaltung christlicher Existenz beschrieben. Worte, die lange in uns nachklingen. Aber Paulus ging es nicht um Poesie. Vielmehr wollte er einer Gruppe von Christinnen und Christen beistehen, die noch ganz am Anfang ihrer Existenz stand, durch viele Unsicherheiten geprägt war und dadurch manche Auseinandersetzungen miteinander auszuhalten hatte.

Die Adressatinnen und Adressaten seiner Worte lebten in der griechischen Hafenstadt Korinth. Aus dem Reichtum des an sie gerichteten Briefs beschränken wir uns auf die eine Sentenz.

Bibel-Vers bestimmte Köhlers Überzeugung

Ein Satz, zunächst an eine bestimmte christliche Gemeinde gerichtet, hat über die Jahrhunderte viele Generationen in ihrer Lebenshaltung geprägt. Er bestimmte auch die gemeinsame Überzeugung von Horst Köhler und seiner Frau Eva Luise Köhler. Als sie ihr Eheversprechen noch einmal vor Gott bekräftigt haben, haben sie sich dabei ausdrücklich zu dieser Lebenseinstellung bekennen wollen.

Und nun ist es an uns, in dieser großen Gemeinde, den Abschied von Horst Köhler unter den Dank für diese Lebenshaltung stellen. Wir verbinden die Wehmut über das, was vergeht, mit der Gewissheit über das, was bleibt: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Auch im Angesicht des Todes behält diese dreifache Gewissheit Bestand. Sie gilt nicht nur einer Gemeinde in der Frühzeit des Christentums. Sie gilt uns. Sie vermag eine Erinnerung zu bewahren, die auch am Tod nicht vergeht. Deshalb ist dieser Abschied nicht nur durch Trauer und Wehmut bestimmt, sondern durch das, was über alle Grenzen hinaus, auch die letzte, verbindet: Glaube, Hoffnung und vor allem Liebe.

Horst Köhler erlebte Flucht und Vertreibung

Es gehört zu den kühnen Aussagen des Apostels Paulus, dass die Liebe sogar Glaube und Hoffnung übersteigt. Bei näherer Betrachtung hat diese Rangfolge eine große Überzeugungskraft.

Denn die Liebe stiftet die Beziehungen, die unserem Leben die Richtung weisen. In ihr können wir Zugang zu den Kräften gewinnen, die uns in guten wie in schweren Tagen tragen – sogar angesichts des Todes und über ihn hinaus. Die Liebe öffnet uns für Gottes Gnade und kann uns dazu verhelfen, dass wir uns bei aller Trauer in Dankbarkeit mit dem Verstorbenen verbunden wissen. Und sie öffnet uns zugleich den Zugang zu unseren Mitmenschen: zu unseren Allernächsten genauso wie zu den fernen Nächsten. In beiden Fällen gilt: Sie brauchen uns und wir brauchen sie. Horst Köhler hat uns dabei besonders in Erinnerung gerufen, dass wir als Menschheit zusammenstehen müssen. In Europa, mit Afrika, als Weltgemeinschaft. Gerade heute ein besonderes politisches Verdienst und eine Mahnung!

Horst Köhler gehörte zu den Generationen in Deutschland, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Heimat suchen und finden mussten. Als siebtes von acht Kindern wurde er geboren. Mehrfach musste die Familie Flucht und Vertreibung auf sich nehmen; zu den elementaren Erfahrungen gehört die Existenz in Flüchtlingslagern. Die Zielstrebigkeit, die für diese Generation in vielen Fällen prägend war, charakterisierte ihn auch.

Köhler baute Brücken

Zielstrebigkeit, aber kein Rigorismus. Er wusste, wer er war, und darum konnte er die anderen gelten lassen. Mehr als das: Er konnte sie sehen, hören, ansprechen. Er übersah nicht leicht jemanden, und nie vorsätzlich. Er baute auch Brücken im Umgang mit denen, auf die er traf.

Die Haltung, die man mit „Liebe zuerst“ beschreiben kann, ist nicht nur ihm selbst und seiner Familie, den zwei erwachsenen Kindern und den vier Enkelkindern, sondern so vielen Menschen zugute gekommen. Viele sind heute hier. Auch, um sich zu vergewissern: Wir vergessen ihn nicht, wir können weiter von dem zehren, was uns von ihm bleibt: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Amen.

Auszug aus der Predigt des ehemaligen Ratsvorsitzenden Prof. Dr. Wolfgang Huber im Trauergottesdienst am 18. Februar für den verstorbenen früheren Bundespräsidenten Prof. Dr. Horst Köhler im Berliner Dom.