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Nach dem Tod von Franziskus: Über die Bedeutung öffentlicher Trauer

Glocken läuten, Kerzen brennen, Menschen beten – der Tod von Papst Franziskus bringt Trauernde weltweit zusammen. Denn Trauer braucht Gemeinschaft – und die Zuversicht, dass seine Gedanken weiterleben.

Sie stellen eine Kerze auf, tragen sich in ein Kondolenzbuch ein oder besuchen einen Gedenkgottesdienst: Obwohl die meisten Menschen Papst Franziskus nicht persönlich gekannt haben, trauern viele auch öffentlich um den 88-Jährigen. Denn: “Trauern kann man nicht alleine, man muss seine Erfahrung teilen können”, sagt der Erlanger Religionspsychologe Lars Allolio-Näcke.

Ähnlich wie bei einer Geburt wollten Menschen auch bei der Extremerfahrung des Sterbens nicht alleine sein – “niemanden dabei zu haben, das möchte keiner ertragen”. Es habe Herrscher gegeben, die sich dazu auf den Marktplatz gelegt hätten, damit andere dabei sein konnten. Früher habe das ganze Dorf bei einem Trauerfall Anteil genommen, nahe Angehörige hätten für alle sichtbar schwarze Kleidung getragen. “Trauer war nie ein privater Prozess.”

Glaubende Menschen seien im Umgang mit Tod und Trauer zudem im Vorteil. Denn sie müssen laut dem Religionspsychologen nicht alles mit sich alleine ausmachen, sondern können auch auf andere Gleichgesinnte und auf Gott vertrauen.

Gemeinsam zu trauern – für den Theologen Matthias Sellmann ist das “ein unglaublich sympathischer Zug von Menschen; er öffnet Schichten, die uns menschlich macht”. Freude wie Trauer seien ansteckend, deshalb sollten sich trauernde Menschen mit anderen verbinden, sagt der Leiter des Bochumer Zentrums für angewandte Pastoralforschung.

Sellmann beobachtet, dass der Tod von Papst Franziskus “tatsächlich besonders viele Menschen berührt – auch solche, die nicht-kirchlich sind. Papst Franziskus hatte etwas sehr Menschliches”. Seine verständliche Sprache und “sein Potenzial für Überraschungen” habe viele angesprochen. “Die Welt ist ärmer geworden; er war ein Mensch, der viel zu sagen hatte.”

Besonders außerhalb Europas sei die Trauer um das Kirchenoberhaupt groß, beobachtet Allolio-Näcke. Die Menschen hätten sich bei dessen Wahl gefreut, “dass nach 1.200 Jahren endlich mal ein Nichteuropäer auf den Papstthron gestiegen ist – einer von ihnen hatte diesen Stuhl inne”. Aber auch hierzulande sind laut einer aktuellen YouGov-Umfrage 23 Prozent der Menschen traurig über den Tod des Papstes.

Auch wenn man nicht mit allem einverstanden war, für das der Papst stand – sein Tod berührt Menschen. Religionspsychologe Allolio-Näcke vergleicht ihn mit dem Tod von Queen Elisabeth II. im Frühjahr 2023. Obwohl viele Briten die Monarchie damals als nicht mehr wichtig einstuften, fühlten sie sich mit dem Königshaus verbunden.

Denn die Queen sei in ihrer 70-jährigen Amtszeit als eine Art Stellvertreterin für jede einzelne Britin und jeden Briten gesehen worden. “Der Mensch macht viele Dinge, die man rational nicht erklären kann, weil sie von einem Bedürfnis geleitet sind”, sagt Allolio-Näcke. Deshalb sei es nun vielen auch ein Anliegen, sich nach zwölf Jahren vom Papst zu verabschieden.

Wie andere Prominente sei Franziskus eine Projektionsfigur, auch wenn man ihn persönlich gar nicht gekannt habe, sagt Sellmann. Schließlich repräsentiere er 1,4 Milliarden Katholiken und trage dafür Sorge, “dass diese sich als Gemeinschaft erfahren”. Dieses große Gemeinschaftsgefühl werden ab heute auch die Rom-Pilger erfahren, die sich von Papst Franziskus im Petersdom am offenen Sarg verabschieden können.

Seit am Ostermontag die Todesnachricht die Runde machte, läuten in vielen Kirchen die Glocken und laden zum Gebet. Und wenn am Samstag Papst Franziskus beigesetzt wird, gibt es hierzulande bundesweit Trauerbeflaggung und Trauerflor. Die Deutsche Bischofskonferenz hat zudem die Möglichkeit geschaffen, virtuell Kerzen für den verstorbenen Papst anzuzünden.

Jeder Mensch habe seine eigene Art, um einen Menschen zu trauern, sagt Religionspsychologe Allolio-Näcke. Er empfiehlt zu schauen, was einem selbst gut tue, um dem Papst zu gedenken. Solch eine Erinnerung könne auch darin bestehen, im Sinne von Franziskus anderen Menschen zu helfen. “Das würde ihm gefallen”, ist der Religionspsychologe überzeugt.

Auch Theologe Sellmann sagt, dass Menschen neben offiziellen Trauerritualen individuelle Wege finden, um sich mit Trauer auseinanderzusetzen. “Jeder pflegt seine eigene Erinnerungskultur” – etwa im eigenen Blog oder Tagebuch. “Dort kann man ein gutes Zitat von Papst Franziskus reinschreiben, mit dem Gedanken: Das möchte ich von ihm behalten.” Für Sellmann ist es der Satz: “‘Eine Familie lebt aus drei Worten: Bitte, Danke, Entschuldigung’ – mit diesen Worten will ich mich an ihn erinnern – er hilft auch, mit seinen Mitmenschen klarzukommen”.