Corona sorgte für einen Knick. Jetzt steigt die Lebenserwartung der Deutschen wieder an. Das Vor-Pandemie-Niveau ist aber noch nicht wieder erreicht.
Erstmals seit der Corona-Pandemie ist die Lebenserwartung in Deutschland wieder gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte, erhöhte sich das durchschnittliche zu erwartende Alter im vergangenen Jahr um 0,4 Jahre im Vergleich zum Vorjahr. Für Frauen liegt es bei 83,3 Jahren, Männer kommen auf 78,6 Jahre – Frauen leben also im Schnitt 4,7 Jahre länger als Männer.
Zuvor hatte Corona für einen deutlichen Rückgang der Lebenserwartung gesorgt: 2020 bis 2022 war sie für beide Geschlechter um 0,6 Jahre gesunken. Das Vor-Corona-Niveau von 2019 konnte also noch nicht wieder erreicht werden. Es gibt aber einen deutlichen Aufholeffekt.
Dabei verläuft die Entwicklung in Ost und West unterschiedlich. Bereits 2022 war die Lebenserwartung im Osten wieder angestiegen, während sie im Westen noch zurückgegangen war. 2023 stieg die Lebenserwartung in Ost und West wieder an, wobei der Osten etwas stärker zulegte. Frauen in beiden Landesteilen leben nun wieder annähernd gleich lang. Bei Männern beträgt die Differenz 1,4 Jahre zugunsten der Westdeutschen.
Insgesamt haben die Deutschen seit Bismarcks Zeiten über 40 Lebensjahre dazugewonnen. 1871/1881 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt für Männer 35,6 Jahre und für Frauen 38,5 Jahre. Bis in den 1960er-Jahre war es vor allem der Rückgang bei der Säuglings- und Kindersterblichkeit, der das Durchschnittsalter stark ansteigen ließ. Starben 1871/1881 noch rund ein Viertel aller Neugeborenen im ersten Lebensjahr, so waren es 1949/1951 bis zu 6 Prozent. 2021 lagen die Werte bei 0,29 Prozent.
Mittlerweile nimmt vor allem die Sterblichkeit in höheren Altersstufen stärker ab. “Die Leute leben hinten raus länger”, sagt der Demografie-Forscher Roland Rau von der Uni Rostock. Er spricht von einer “kardiovaskulären Revolution”: Seit Ende der 60er-Jahre habe es enorme Verbesserungen bei Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen gegeben.
Allerdings standen die Deutschen im europäischen Vergleich zuletzt nicht so gut da: Nach einer im Mai veröffentlichten Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung liegt die Lebenserwartung der Bundesbürger niedriger als in vielen anderen westeuropäischen Staaten – und die Kluft wird größer. Die Forschenden haben die Sterblichkeitstrends in 15 westeuropäischen Ländern über mehrere Jahrzehnte untersucht. Das Ergebnis: 2022 lag die Lebenserwartung bei der Geburt in Deutschland 1,7 Jahre unter dem westeuropäischen Durchschnitt. Im Jahr 2000 betrug der Rückstand noch 0,7 Jahre.
Für 2022 errechneten die Wissenschaftler eine durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland – unabhängig vom Geschlecht – von 80,55 Jahren. In Westeuropa waren es hingegen rund 82,3 Jahren. Am höchsten lag sie mit gut 83,5 Jahren in der Schweiz, gefolgt von Spanien mit 83,2 und Schweden mit 83 Jahren.
Die Gründe für die geringere Lebenserwartung in Deutschland sind noch nicht ausreichend untersucht, so die Wissenschaftler. Es gebe bisher keine Hinweise darauf, dass die Menschen in Deutschland einen schlechteren Lebensstil pflegten als in anderen Ländern mit ähnlichem Wohlstandsniveau. Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder Bewegung seien nicht signifikant erhöht.
Eine mögliche Ursache könnte in den Ernährungsgewohnheiten liegen. So weisen Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) darauf hin, dass die Deutschen weniger Obst und Gemüse essen als beispielsweise Menschen in südeuropäischen Ländern.
Die Wissenschaftler vermuteten zugleich, dass die Bundesbürger privat weniger auf ihre Gesundheit achten – auch weil sie sich stark auf ein gutes Gesundheitssystem verlassen. Mehr Vorbeugung und Früherkennung könnten deshalb die Lebenserwartung verbessern. Das gilt der Studie zufolge vor allem für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, die zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland zählen. Nachholbedarf gebe es außerdem bei gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Alkohol- und Tabakprävention und für gesunde Ernährung.